„Politischer Islam“ in Österreich – Kampf gegen ein Phantom

Sind Muslime gefährlich, wenn sie auf der Grundlage ihrer religiösen Identität politisch auftreten? Die österreichische Regierung bejaht mit ihren martialischen Ansagen gegen den sogenannten politischen Islam. Mit dem Kampfbegriff erklärt der Staat, dass Angehörige der muslimischen Minderheit demokratiefeindlich agieren, wenn sie sich gestützt auf ihre Religion politisch engagieren. In unserer multikulturellen Gesellschaft ein Signal der Diskriminierung gegenüber der Minderheit. Sebastian Kurz, Chef einer christdemokratischen Partei, will sogar einen neuen Straftatbestand schaffen. In der heimischen Politik schürt der Begriff des politischen Islam Ressentiments und erschwert die Auseinandersetzungen mit realen Problemen.
Klar, in vielen Staaten sind islamische Parteien aktiv. Sie haben Namen, Adressen und Programme, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Viele haben sich islamistisch radikalisiert. Manche verfügen über Sympathisanten in Europa. Eine Partei des politischen Islam, die Österreich islamisieren will, ist dagegen ein Phantom.
Unter Türkisblau hat es dramatische Auftritt der Regierungsspitze gegen angeblich irreguläre Gotteshäuser gegeben. Staatliche Bekleidungsvorschriften, besonders Kopftuchverbote, für Mädchen wurden zu Wahlkampfschlagern. Statt klarzustellen, dass der Islam als zweitgrößte Religionsgemeinschaft Teil unserer Gesellschaft ist, wie Christen, Juden und Atheisten, wird Ausgrenzung betrieben.
Der Begriff des Separatismus, den Frankreichs Präsident Macron verwendet, ist sinnvoller. Er meint Subkulturen, in denen auf soziale Deklassierung durch islamistische Antiaufklärung reagiert wird. Migrantische Parallelstrukturen gibt es in allen Einwanderergesellschaften. Rechtsextreme austrotürkische Jugendliche in Favoriten oder renitente Teenager in Schulen zeigen soziale und integrationspolitische Defizite. Sie zu beheben ist schwerer, als martialische Pressekonferenzen gegen angebliche politische Verschwörer zu veranstalten.
Anders ist die Frontstellung zu Dschihadisten. Nach militärischen Niederlagen im Nahen Osten versucht die Terrororganisation Islamischer Staat eine quasimilitärische Front in Europa zu eröffnen. Die Attentäter in Wien und Paris sind das Kanonenfutter in einem globalen Konflikt. Dschihadisten werden in einem halbkriminellen Jugendmilieu radikalisiert, vor allem in Gefängnisse, wie der aktuelle Staatssicherheitsbericht festhält. Terroristische Netzwerke aufzuspüren ist die Aufgabe der Staatssicherheit. Extremismus muss politisch bekämpft werden. Der Unterschied sollte sich auch in der Wortwahl ausdrücken. Oder würde es jemand einfallen, dem Attentäter von Christchurch, der sich auf das Abendland beruft, politisches Christentum zuzuschreiben?
Wie weit verbreitet antimuslimischer Rassismus ist, zeigen die Untersuchungen von SOS Mitmensch. Mit der Forderung, den politischen Islam überhaupt zu verbieten, sprengt Kanzler Kurz den Rahmen der demokratisch garantierten Freiheiten. Eine Kriminalisierung abweichender Meinungen kennt man sonst aus autoritären Staaten. Die Auswirkungen erleben wir, wenn die Regierung die Antiterrorpolizei gegen den unbequemen Politikwissenschaftler Hafez Farid ausschickt, wie in der Operation Luxor Anfang November. Auch eine Folge der unseligen Konstruktion vom politischen Islam als Gefahr für die Republik. Wir sollten uns davon befreien.

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