Wie der Rechtsruck in Europa gestoppt wird

Der Griff der Rechtsextremen zur Macht ist in Frankreich gescheitert. Großbritannien beendet einige Tage zuvor die Herrschaft der seit dem Brexit rechtspopulistisch irrlichternden Torys. Der Ansturm des nationalistischen Populismus ist damit nicht beendet. Aber in Westeuropa funktionieren die Barrieren gegen eine steile Rechtskurve.  Orban, Kickl und Le Pen haben das Nachsehen.

  Premier Keir Starmer von der Labour Party in London und die als Neue Volksfront vereinigte Linke als stärkste Fraktion in der Nationalversammlung in Paris beweisen die Resilienz der Demokratie in Europa.

  Das starke Abschneiden der  heterogenen französischen Linken war eine Überraschung. Die Liberalen Emmanuel Macrons haben weniger dramatisch verloren, als vorhergesagt, auch wenn der Präsident seine Mehrheit verloren hat.  Die gegenseitige Unterstützung von Liberalen und Linken in umkämpften Wahlkreisen war eine Hürde, die Le Pens Rassemblement National überwinden konnte. Die Republikanische Front hat gehalten. Dass die Rechtsextremen nie zuvor so viele Abgeordnete hatten, wie jetzt, ist für sie ein schwacher Trost.

  Danny Leder, langjähriger Paris-Korrespondent, wagt eine Diagnose für die Zukunft: „Macron bleibt zwar nach der Verfassung Präsident, aber er ist politisch tot. Sogar sein junger Premierminister Attal spricht von einer neuen Ära. Aber auch Marine Le Pen ist politisch tot. Nach zwei gescheiterten Präsidentschaftswahlen hat sie den Sprung zur Macht schon wieder nicht geschafft.“ Dass Le Pen bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen in drei Jahren die rechtsrechte Dynamik aufrecht erhalten kann, sei unwahrscheinlich.  Ein langwieriges Tauziehen um einen Premierminister, auf den sich Linke und Liberale einigen müssen, scheint unvermeidlich.   

   Angesichts des rechtsextremen Vormarsches zeigte der britische Economist  vor Kurzem eine französische Trikolore ohne Mittelstreifen. Der Titel kündigte Umbruch und Umsturz an:  The Centre cannot hold, das Zentrum hält nicht. Gemeint war Frankreich, betroffen konnten sich Zentrumsparteien in ganz Europa fühlen. Die Aussage muss korrigiert werden. Mit Unterstützung der Linken hält das Zentrum doch. Mit zusammengebissenen Zähnen haben Anhänger der von Macron als linksextrem verschrienen Neuen Volksfront für Vertreter der Regierungspartei gestimmt, um LePenisten zu verhindern.

  Der Pendelschlag zu Labour  in Großbritannien entspricht auf den ersten Blick dem traditionellen Wechsel zwischen ausgelaugter konservativer Regierung und einer linken Opposition, die Kraft getankt hat. Bei genauerem Hinsehen ersetzt  Keir Starmer das verlorene Zentrum der britischen Politik. Was er anders machen will als seine Vorgänger, musste er im Wahlkampf gar nicht erklären. Das Mandat des Wahlvolkes heißt schlicht Rückkehr zur Normalität nach dem Tory-Chaos seit dem Brexit. Die überwältigende Mehrheit von 65 Prozent der Abgeordnetensitze in Westminster durch 34 Prozent der Stimmen verdankt Labour dem Wahlrecht und der Konkurrenz für die Torys durch die  Rechtsaußenpartei von Nigel Farage. Die überwältigende Mehrheit im Unterhaus wird  Keir Starmer einsetzen müssen, um Korrekturen bei den neoliberalen Exzessen, wie der verheerenden Privatisierung der Bahn, mit der Sehnsucht nach Stabilität zu verbinden. Nach dem Tiefpunkt des konservativen Zyklus 2016 beim Brexit schlägt das Pendel zu einem braven Sozialdemokraten zurück.  Die nationalistische Kurve zu korrigieren wird nicht leicht zu korrigieren sein, das gibt Starmer offen zu, wenn er  zu seinen Lebenszeit keine Rückkehr Großbritanniens in die EU erwartet. Obwohl der wirtschaftliche Preis der Trennung unbestritten ist und sich sogar die Zuwanderung nicht verringert, sondern sogar erhöht.

    In den USA symbolisiert Joe Biden die Schwächen liberaler Pragmatiker in Zeiten der politischen Polarisierung. 2020 hat der frühere Vizepräsident als zentristischer Vertreter mit Unterstützung des Linken Bernie Sanders den Trumpismus fürs erste nieder gerungen. Die altersbedingte Schwäche des 81-jährigen macht seine aktuelle Kandidatur gegen den faschistoiden Umstürzler Trump beim Kampf um die Wiederwahl zum Risiko für die amerikanische Demokratie.  Damit das Zentrum halten kann braucht es eine Persönlichkeit, die einen Neubeginn gemeinsam mit den lebendigen Kräfte der amerikanischen Zivilgesellschaft symbolisiert. Die Zeit wird knapp und das Risiko eines Wechsels an der Spitze ist real, wenn auch wahrscheinlich groß, als dem verdienten Joe Biden die Stange zu halten.

  Frankreich und Großbritannien 2024 zeigen ähnlich wie vor vier Jahren die USA, dass es möglich ist den rechtsrechten Ansturm zu stoppen, wenn sich Linke und Zentristen zusammen tun. Die Auseinandersetzung ist nicht vorbei, das erlebt Amerika mit der Gefahr des Comebacks von Donald Trump. Das linksliberale Lebenszeichen, das uns Franzosen und Briten bescheren, können wir gut gebrauchen.  

ZUSATZINFORMATIONEN

Republikanische Front gegen Le Pen

72 Prozent linker Wähler stimmten in der Stichwahl für  Macronisten von Ensemble. 54 Prozent der liberalen Wähler stimmten für die linke Neuen Volksfront. Von den 577 Abgeordneten in der Assemblee Nationale hat die Linke 195 Sitze, die Liberalen mit den Verbündeten  174 und die Rechtsextremen 143 Abgeordnete. Dazu kommen Kleinparteien und offene Mandate.