Was ein Rückzug Bidens ermöglichen könnte, Falter Maily 30.6.2024

Für außenpolitisch Interessierte sind das stressige Tage. Seit heute früh wählt Frankreich. Am Abend wissen wir vielleicht, ob der Zugriff der Rechtsextremen Le Pen-Partei auf die Regierung verhindert werden kann. Dabei ist der Schock über Amerika und die katastrophale Performance von Joe Biden beim TV-Duell mit Donald Trump noch ganz frisch. Bei den US-Demokraten ist Feuer am Dach. Die Familie des Präsidenten kommt an diesem Wochenende in Camp David zusammen um weitreichende Entscheidungen zu treffen, heißt es gegenüber der Presse. 

 Es war Freitag früh fast physisch schmerzhaft zuzusehen, wie hilflos der 81-jährige Biden gegen das    Maschinengewehrfeuer von Lügen und Beschimpfungen seines Gegenüber wirkte. Die Diskussion, ob der Präsidentschaftskandidat  doch noch auswechselt werden soll, ist im linksliberalen Amerika voll entbrannt. Es wäre ein riskantes Manöver, aber nicht unmöglich.

Noch wagt es kein Spitzenpolitiker der Demokraten dem Präsidenten in den Rücken zu fallen.

Aber die New York Times, die wichtigste mediale Stimme des linksliberalen Establishments, fordert, dass sich der Präsident aus dem Rennen nimmt, „to serve his country“.  Die TV-Debatte habe gezeigt, dass Joe Biden auf Grund seines Alters nicht im Stande ist den brutalen Lügen Donald Trumps wirkungsvoll entgegen zu treten. Trump sei tatsächlich eine Gefahr für die Demokratie. Gerade deshalb müsse Biden Platz für jemand anderen machen.

    Die einflussreiche Washington Post schlägt in die gleiche Kerbe.  Das Blatt  empfiehlt Biden sich das Wochenende frei zu nehmen und in sich zu gehen. In den sieben Wochen bis zum Wahlparteitag sollten  alternative Kandidaten in einem „summer of debates“ klären, wer geeignet ist Amerika vor einem Comeback Trumps zu bewahren.

  Die Perspektive einer Open Convention steht im Raum. Die 4000 Delegierten wären frei  unter mehreren Bewerbern ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin für die Wahl am  5.November zu nominieren. Politikwissenschaftler erinnern daran, dass offene Parteitage üblich waren, bevor Anfang des 20.Jahrhunderts das System der Vorwahlen eingeführt wurde. 3894 Parteitagsdelegierte sind  Joe Biden politisch verpflichtet, sie wurden auf seinem Ticket gewählt. Gibt sie der Präsident durch einen Verzicht frei, könnte ein freies Spiel der Kräfte beginnen.

  Die Risiken einer plötzlichen Kertwende sind enorm. Die verschiedenen Flügel der Demokraten, die Biden zusammenhält, werden sich nur sehr schwer auf einen Ersatzkandidaten einigen. Genannt werden prominente Gouverneure, wie Gretchen Widmer aus Michigan oder Gary Newson aus Kalifornien. Kamala Harris, die Vizepräsidentin, hat zwar in den letzten dreieinhalb Jahren weniger an Profil gewonnen, als erhofft, sie wäre aber nur schwer zu umgehen.

  Ein plötzlich offener Wahlparteitag könnte jedoch auch als Weckruf wirken, um Amerika aus der Depression von zwei in breiten Bevölkerungsschichten unpopulären Kandidaten heraus zu katapultieren, argumentieren die Befürworter eines solchen ungewöhnlichen Schrittes. Der Sturm der Rechtsextremen auf den Kongress vom 6.Jänner 2021 hat gezeigt, dass die liberale Demokratie auf der Kippe steht. In der TV-Konfrontation von CNN weigerte sich Trump zu versprechen, dass er eine Niederlage bei den nächsten Wahlen akzeptieren würde. Es ist eine politische Extremsituation, für die eine Open Convention der Demokraten adäquat wäre. 

  Ob es dazu kommt wird von Joe Biden selbst abhängen. Würde das Parteiestablishment der Demokraten so spät im Wahljahr gegen den eigenen Präsidenten vorgehen, wäre das politischer Selbstmord.   Biden will nicht aufgeben, das hat er nach dem Debakel klar gemacht. Er setzt darauf, dass  das Gewicht seiner Argumente für Steuergerechtigkeit, für Frauenrechte und den Respekt der Demokratie schwerer wiegen als die Aussetzer in der Diskussion. Die einzige Person, die ihn  umstimmen könnte, ist höchstwahrscheinlich seine Frau, Jill Biden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*