Warum Heinz Fischer zu Gaza recht hat, Falter 14.5.2025 

Heinz Fischer hat seine Empörung über den israelischen Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung von Gaza ausgedrückt.  Der Altbundespräsident gehört zu den traditionell proisraelischen Stimmen in der SPÖ.  Mit seiner  Wortmeldung löst er erstmals eine breitere Diskussion über  Mitverantwortung für Kriegsverbrechen durch Wegschauen aus. Fischer hat lange gewartet.  Die Hamas ist längst militärisch besiegt.  Seit zwei Monaten wird die Bevölkerung von Gaza ausgehungert. Die Befreiung der entführten Geiseln ist gegenüber dem Ziel der  ethnischen Säuberungen in den Hintergrund getreten.

 Die israelische Militäraktion nach dem Massaker des 7.Oktober hat ihren Charakter verändert. Die Regierung Netanjahu macht kein Geheimnis daraus, dass der Zweck  der Zerstörung von Spitälern, Schulen und Wohnhäusern mit zehntausenden getöteten Zivilisten  darin besteht, die Bewohner  zu vertreiben.

  Die jüngste Erklärung der Regierung in Jerusalem über die geplante dauerhafte Besetzung Gazas war der Auslöser für Heinz Fischer. Zurecht sagt Fischer, dass die Kritik an Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine unglaubwürdig wird, wenn sich die westlichen Regierungen gegenüber Israels Vorgehen zurückhalten. Die Wirklichkeit ist schlimmer. Täglich gibt es zehn Mal mehr  Opfer israelischer Bomben auf Gaza als die Russen in der Ukraine verursachen. Die getöteten palästinensischen Familien kommen in unseren Medien selten vor.

  Außenministerin Beate Meinl-Reisinger  sagt Österreich appelliere an alle Seiten das Völkerrecht einzuhalten.  Diese Aufrufe gibt es seit langem, ohne erkennbare Wirkung. Im Gegenteil. Im Westjordanland häufen sich die Militäraktionen der Besatzungsmacht gegen palästinensische Wohngebiete. Rechtsextreme Siedler zünden Häuser an und gehen straflos gegen Bewohner vor. Die israelische Regierung verfolgt ihr Ziel einen Palästinenserstaat unmöglich zu machen.  

    Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat sich viel Kritik eingehandelt, weil sie die laufenden Kriegsverbrechen dokumentiert und zum Schluss gekommen ist, dass Israel Völkermord begeht.  Genozid im Nahen Osten ist eine Bewertung, die in Deutschland und Österreich schwierig ist, weil man Gefahr läuft die Shoa der Nazis an den europäischen Juden zu verharmlosen. Die Deportationspläne Israel verstärken jedoch den Völkermordverdacht.  Die zynische Umdeutung des geplanten Bevölkerungsaustausches als freiwillige Ausreise macht angesichts des Ausmaßes der Zerstörungen sprachlos.

  Bei aller Distanzierung  haben Europäer und Amerikaner keine  Druckmittel gegen die Kriegsführung Netanjahus eingesetzt. Im US-Senat verlangt Bernie Sanders vergeblich eine Sperre der Lieferung von US-Waffen, mit denen Israel die Nachbarn bombardiert. Gegen das hilflose Syrien, das sich gerade von einem blutigen Diktator befreit hat,  führen die israelischen Streitkräfte hunderte Luftangriffe durch, als ob es kein Völkerrecht gäbe.

   Kritische Stimmen aus den Jüdischen Gemeinden sind weltweit  in der Minderheit geblieben. Ein unmissverständliches  Nein der Freunde Israels zum Kriegskurs der rechtsextremen Regierung ist für alle Regierungen in Europa kompliziert. Aber wenn man traditionellen Bündnispartnern die Stange zu hält, selbst wenn sie sich in furchtbarer Weise verrennen, dann macht man sich mitschuldig. Der Vorwurf der Doppelmoral an den Westen, der Russland wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine  boykottiert,  gegen Israel Sanktionen aber nicht einmal andenkt, erfolgt zurecht.

 Netanjahu&Co instrumentalisieren seit langem den Kampf gegen den Antisemitismus für den Gazakrieg.  Kritik am Aushungern der Bevölkerung und Massakern an der palästinensischen Zivilbevölkerung werden  als Folge von Judenhass dargestellt.   Aus  der Israelitischen Kultusgemeinde kommt ein ähnlicher Vorwurf gegen Heinz Fischer, weil er die rechtsextremen Regierungsmitglieder kritisiert, die „ihren Zionismus vor sich hertragen“ um den Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung zu schüren.  Aber soll man schweigen, wenn Finanzminister  Smotrich tönt,  ein Sieg Israels heiße, dass Gaza „vollständig zerstört“ wird, bevor die Bewohner das Palästinensergebiet in Richtung anderer Staaten verlassen?

Ja, bei propalästinensischen Demonstrationen gab es antisemitische Slogans. Juden fühlen sich bedroht.  Judenhass, der sich hinter Kritik an Israel verbirgt ist schändlich und beschädigt die  Solidarität mit den palästinensischen Opfern. Gleichzeitig ist auch der Kampf gegen Antisemitismus  schwieriger geworden,  weil unglaubwürdig ist, wer gleichzeitig  die Kriegsverbrechen des Staates Israel verteidigt. Beides, die kompromisslose Ablehnung des Antisemitismus und die unerschrockene Solidarität mit den von Entrechtung bedrohten Palästinensern sollte  zum aufrechten Gang engagierter Demokraten  gehören.

ZUSATZINFORMATIONEN

Kontroverse zum Gazakrieg

Heinz Fischer argumentiert, Israel hat nicht das  Recht   Grenzen  mit Militärgewalt  zu überschreiten und „Hunderttausende zur Flucht  zwingen.“

Die Israelische Botschaft verweist auf die Pflicht Israels, seine Bürger zu schützen. Der Krieg richte sich gegen Hamas, nicht gegen die Palästinenser. An den zivilen Opfern seien die Terroristen  schuld, weil sie nicht kapitulieren.  Israelische Bomben haben zwischen 52 000 und 110 000 Menschen getötet, 3-5 Prozent der Bevölkerung