Religion wird traditionell nicht groß geschrieben in China, der aufsteigenden Macht in Asien. Der von der Kommunistischen Partei geführte Staat ist offiziell atheistisch. Aber von der maoistischen Ideologie der Vergangenheit ist nicht viel geblieben, nach Jahren einer beispiellosen wirtschaftlichen Entwicklung. Die ideologische Lücke führt jetzt zu neuem Interesse an religiösen Antworten. Christliche Glaubensgemeinschaften zählen inzwischen mehr Mitglieder als die kommunistische Staatspartei. Besonders groß ist der Widerhall buddhistischer Lehrer und Klöster, die ihre reiche Tradition wiederentdecken in China. Auf der Suche nach den Wurzeln des Buddhismus hat ORF-Asienkorrespondent Raimund Löw die überraschende Feststellung gemacht, dass sich Han-Chinesen intensiv für die tibetische Variante der Religion interessieren. Obwohl sich die Zentralregierung in Peking mit den tief religiösen Tibetern und ihrem geistigen Oberhaupt, dem im Exil lebenden Dalai Lama, politisch extrem schwer tut.
Vor 1300 Jahren ist in Leshan die Figur des Buddha aus dem Felsen geschlagen worden.
Errichtet wurde die Statue einst um den wilden Lauf der Flüsse in der Provinz Sichuan zu beruhigen.
Es ist der größte Steinerne Buddha der Welt.
Eine mächtige Erinnerung an die lange Tradition des Buddhismus im Reich der Mitte.
Seit die Bürger Geld haben für Tourismus, strömen immer mehr Besucher nach Leshan. Religion spielt da keine große Rolle.
INSERT: YING ER, TOURISTIN
ÜBERSETZUNG
Ich komme als Touristin her. Aber meine Eltern, ja, die glauben an den Buddhismus.
INSERT: GUO HUIXIONG, TOURIST
ÜBERSETZUNG:
In unserem Land, in dem es für jeden immer nur ums Geld geht, suchen wir doch alle nach innerem Frieden. Irgendwie bin ich Buddhist, aber ich glaube auch an den Taoismus und an Jesus, ich glaube an alle zusammen.
TEXT RL
Vor 50 Jahren musste noch die Armee ausrücken, um die historische Stätte vor den Rotgardisten zu schützen, die auf Anweisung Mao Tsetungs alles Alte und Althergebrachte zerstören sollten.
Die Provinz Sichuan gehört zum aufstrebenden Landesinneren Chinas, das nachholen will gegenüber den reichen Küstenstädten im Osten.
Die Provinz grenzt an das Autonome Gebiet Tibet, das uns Auslandskorrespondenten streng verboten ist.
Die tibetische Hauptstadt Lhasa ist noch immer 2500 km entfernt. Aber immer sichtbarer werden die spirituellen Traditionen.
Wir treffen auf drei Pilger auf dem Weg nach Lhasa. Sie knien nieder, werfen sich zu Boden und müssen mit der Stirne die Straße berühren.
Drei Monate sind sie so schon so unterwegs, erzählen sie uns. Neun Monate haben sie noch vor sich in die tibetische Hauptstadt.
Eine extreme Form der Pilgerfahrt, die so gar nicht passt in das moderne China.
Nach den Zerstörungen der Kulturrevolution begannen tibetische Mönche im Larong Tal am Fusse des Himalaya mit dem Aufbau eines neuen religiösen Zentrums bei der Stadt Seda.
10 000 buddhistische Mönche studieren und leben in Larong. Männer und Frauen, Tibeter und Nichttibeter sind hier zu Hause. Das Serthar Institut ist die größte buddhistische Gelehrtenschule der Welt.
Von China verteufelt, aber von vielen Tibetern verehrt, ist der Dalai Lama nur diskret im Hintergrund präsent.
2001 hatte die chinesische Polizei das Gelände geschliffen, weil der Ordensgründer sich weigerte mit dem Dalai Lama zu brechen, wie das Peking verlangt hat.
Aus ganz China sind die Gläubigen gekommen, um auf 4300 Meter Seehöhe die größte Versammlung des Jahres zu erleben:
die Guanding Zeremonie zur Ermächtigung der Gläubigen für weitere Mediationen auf dem Weg der Erleuchtung.
Die Äbtissin leitet die Zeremonie. Wieder und wieder gilt es die Mantras, die religiösen Sprüche, aufzusagen, durch die Kraft und Weisheit übergehen sollen an die Gläubigen.
Das spezielle Mantra dieser Festtage muss gleich 400 000 Mal wiederholt werden.
Der elektronische Zähler am Finger garantiert, dass man sich nicht verrechnet.
Der Klostershop in Seda bietet so manch Nützliches für den Alltag.
13 Jahre dauert das Studium, um den begehrten Status des buddhistischen Meisters zu erreichen.
INSERT: Liu Heng, buddhistischer Gläubiger
ÜBERSETZUNG:
Der Buddhismus lehrt, dass die Menschen ein mitfühlendes Herz brauchen, um zu innere Friede zu gelangen. Für unser Land und die ganze Menschheit ist das eine wichtige Lehre.
INSERT: Bai Ma, buddhistische Gläubige
ÜBERSETZUNG:
Hier in Tibet glauben die Leute, dass dieses jetzige Leben keine Bedeutung hat. Auf das nächste Leben nach der Wiedergeburt kommt es an. In China wollen alle nur Geld verdienen oder rasch heiraten, aber der Buddhismus lehrt uns, dass das Leben nur Teil eines längeren Zyklus ist.
TEXT RL
Die buddhistischen Meister oder Lamas, wie sie genannt werden, sind gefragt als Ratgeber und geistige Führer. Viele Gläubige legen tausende Kilometer für eine Audienz zurück.
INSERT: KHENPO GAZEN ZEREN, buddhistischer Meister
ÜBERSETZUNG:
Warum kommen eigentlich so viele Leute von außen zu uns? Menschen, mit einem vergleichsweise guten Leben? Sie alle steigen in die Berge, wo es wenig Sauerstoff gibt und wenig Annehmlichkeiten. Die Menschen verstehen langsam, dass ihr Glück nicht ausschließlich mit Geld zu tun hat. In China und weltweit machen wir die Erfahrung, dass Geld nicht alles lösen kann und vor allem nicht unsere geistigen Bedürfnisse befriedigt.
TEXT:
Die rasante wirtschaftliche Entwicklung ist aus Sicht des tibetischen Meisters nur teilweise ein Fortschritt.
INSERT: KEHNGPOGAZEN ZEREN, buddhistischer Meister
ÜBERSETZUNG:
Ursprünglich waren nur 10 Studierende hier, heute sind wir tausende. Neue Straßen und Eisenbahnen werden noch mehr Menschen nach Tibet bringen. Das ist positiv. Die Tibeter sind arm, aber sie tragen ein Lächeln auf den Lippen. Ich fürchte, dass schlechte Sitten einziehen werden, Trinken, Rauchen, Kartenspielen und die Sucht nach Geld, dass sich dann auch unter den Tibetern der Irrglaube verbreiten wird, dass Geld alle Probleme löst.
STAND UP LÖW
Der tibetische Buddhismus übt auch im modernen China eine Faszination aus, die weit über die Volksgruppe selbst hinausgeht. Die religiösen Feste in den entlegenen tibetischen Regionen ziehen in zunehmendem Ausmaß auch Hanchinesen an. Obwohl Religion in China nach wie vor eine viel geringere Rolle spielt als in anderen Ländern Asiens.
TEXT RL
Ein magischer Anziehungspunkt in Seda ist die Himmelsbestattung. Die Zeremonie ist frei zugänglich für Besucher. Die sterblichen Überreste der Toten dienen den Vögeln des Hochlandes als Nahrung.
Nach tibetischer Tradition bringen die Geier die Seelen der Verstorbenen in den Bardo, den Zustand zwischen Tod und Wiedergeburt.
Die chinesischen Behörden haben viel vor. Investiert wird in Straßen und Tunnels. Hotels, Schulen und Spitäler werden modernisiert. Aus ärmlichen Dörfern sollen Attraktionen für Touristen aus der ganzen Welt werden.
Die Klöster sind Eckpunkte dieser Strategie.
Die Zeit steht still bei den Ritualen in Lhagang. Einer Mönchsgemeinde, deren Wurzeln hunderte von Jahren zurückreichen.
Die Distanz zur modernen Welt, macht Tibet attraktiv für Chinas Bürger.
Zu den Gelehrten, die hier verehrt werden, gehört auch der Dalai Lama, die politische Feindfigur der Regierung.
Anders als in der Autonomen Provinz Tibet selbst, ist sein Bild in diesem Teil Chinas nicht verboten.
Der politische Dialog mit Peking ist dem Dalai Lama nie gelungen.
Chinas Mittelschicht geht trotzdem auf Erkundungstour in die exotischen tibetischen Landesteile.
INSERT: PING GUO, TOURISTIN
ÜBERSETZUNG:
Ich mag das Hochland hier, es ist einfach ein super Gefühl.
INSERT: XU WEI, TOURIST
ÜBERSETZUNG:
Irgendwie glauben wir an Buddha, aber wirkliche Buddhisten sind wir nicht, wir tragen ihn in unserem Herzen.
TEXT RL:
Es ist keine einfache Begegnung zwischen der konsumorientierten modernen Welt.
Und der alles umfassenden Religiosität am Fuße des Himalaya.