Der Migrationsdruck auf Europa geht zurück. Bis April 2018 sind in der EU 20 Prozent weniger Asylanträge gestellt worden als im Vorjahr. Es kommen unvergleichlich weniger Flüchtlinge aus der Türkei nach Griechenland als früher. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen registriert einen Rückgang der Bootsflüchtlinge nach Italien über das Mittelmeer. Trotzdem droht die Einwanderungspolitik die deutsche Bundesregierung in die Luft zu sprengen. Und die Europäische Union dazu.
Tatsächlich drängen nach wie vor viele Menschen aus Afrika und dem Mittleren Osten nach Europa.
Wer glaubt, das hat alles mit Merkels „Ja, wir schaffen das“ zu tun, dem sei ein Blick über den Atlantik empfohlen. Donald Trump ist mit der Ankündigung Präsident geworden, er werde eine Grenzmauer zu Mexiko bauen. Ganz ohne die Erfahrung des europäischen Flüchtlingsstroms von 2015 ist Migration auch in Amerika das schwierigste politische Thema.
Seit Trumps Wahlsieg tobt der Streit im Kongress, wie mit dem fragwürdigen Plan eines 3200 Kilometer langen Barriere umzugehen ist. Grenzsperren über hunderte Kilometer gibt es seit langem. Die Brisanz der Einwanderungsfrage ist dadurch nicht kleiner geworden.
Die Administration Trump hat den Kampf gegen illegale Einwanderung auf ihre Fahnen geschrieben. Wer wegen illegalen Grenzübertritts festgenommen wird, kommt in den USA jetzt ins Gefängnis, anders als früher. Häufig sind ganze Familien unterwegs. Aber in die Haftanstalt können die Eltern ihre Kinder nicht mitnehmen. Die Grenzbeamten reißen Familien auseinander. 2000 Mal war das in den letzten sechs Wochen der Fall. Die Medien berichten von schreienden Kindern und weinenden Müttern.
Symbol für den Notstand sind Käfige für Flüchtlingskinder in der südtexanischen Stadt McAllen. Die Versorgung der unbegleiteten Jugendlichen ist in den ärmlichen Grenzregionen der USA zu einem Geschäft geworden. Auf dem Gelände eines aufgelassenen Walmart Supermarkts in der texanischen Stadt Brownsville leben 1500 Buben. Werden sie abgeschoben, werden sie ausgewiesen? Viele sind unbegleitet. Andere wissen nicht, was mit ihren Eltern geschehen ist.
Im ganzen Land gibt es Demonstrationen gegen die herzlose Praxis. Die katholischen Bischöfe protestieren gegen die Verletzung von Kinderrechten. Der Regierung in Washington ist das Schicksal der Jugendlichen egal. Trumps Stabschef John Kelly argumentiert Eltern, die illegal über die Grenze kommen, die Kinder wegzunehmen sei „Abschreckung.“
In Amerika und Europa sind in der Zuwanderungspolitik Signale der Härte nach innen wichtiger, als Menschenrechte. Ein sinnvoller Umgang mit einer Migrationsbewegung von Millionen Menschen ist dem Kongress in Washington bisher genauso wenig gelungen, wie der Europäischen Union.
Dass es möglich sein wird Wanderbewegungen durch Mauern in Amerika oder Außengrenzschutz in der EU zu stoppen, ist eine Illusion. Das Wohlstandsgefälle zwischen dem globalen Süden und dem Norden kann gemildert werden, verschwinden wird es nicht. Migration zu managen ist ein berechtigtes Anliegen. Rechtsstaat und Menschenwürde dürfen dabei nicht auf der Strecke bleiben, genauso wenig wie der Zusammenhalt Europas. Den Bürgern Zauberlösungen vorzugaukeln ist unverantwortlich.
Der CSU-Vorstoß für die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze ist brandgefährlich. Es gäbe eine Kettenreaktion in ganz Europa und ein endgültiges Aus für das freie Reisen. Italien würde Flüchtlinge nicht mehr registrieren. Neue Verwerfungen, die sich bereits im beschämenden Streit um die 620 Boat People auf dem Flüchtlingsschiff Aquarius ankündigen, wären unvermeidlich.
Abschreckung gegenüber Zuwanderern koste es, was es wolle, zerstört die humanistischen Werte der eigenen Gesellschaft.
Es geht nicht um die Sache selbst. Natürlich könnten Polen oder Tschechien ohne Probleme ein paar Tausend Flüchtlinge aufnehmen, aus Solidarität mit den an den Außengrenzen liegenden Griechen und Italienern. Die bayrische CSU möchte Flüchtlinge zu einem Zeitpunkt zurückweisen, an dem nur wenige kommen. Es gibt keine Hinweise für eine Notsituation. Trotzdem vergeht kein Tag, an dem Österreichs Sebastian Kurz nicht mit neuen Ideen Schlagzeilen macht, wie Migranten besser abgewiesen werden sollten.
Wenn jede EU-Regierung alleine agiert, beginnt ein Kampf der Mitgliedsstaaten gegeneinander mit Flüchtlingsströmen und Grenzkontrollen. Es wäre das Ende des Vereinigten Europas. Merkel hat recht: Kompromisse auf europäischer Ebene sind der einzig sinnvolle Weg, auch wenn sie unvollkommen bleiben. Österreich könnte die Haltung der deutschen Kanzlerin unterstützen. Wenn die Regierung auslässt, sollten sich Opposition und Zivilgesellschaft zu Wort melden.