Putins düstere Sicht auf die Welt, Falter Maily 22.2.2022

Vladimir Putin hat mit seiner einstündigen Fernsehansprache zur Rechtfertigung des Angriffs auf die Ukraine gestern Abend ein düsteres Bild für die Zukunft vorgezeichnet. Der Präsident blickt gestresst in die Kamera. Die Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates wirkt gespenstisch. Die hohen Militärs und Geheimdienstleute stottern, man hat den Eindruck, dass sie Angst haben, auf die Fragen des Präsidenten zu antworten. Ideologisch reproduziert Putin stalinistischen, großrussischen Chauvinismus, der in der Vergangenheit immer wieder eine unheilvolle Rolle gespielt hat. Für Russland beginnt eine Zeit der Konterrevolution, signalisiert die unwirkliche Inszenierung.

Man sollte sich die Zeit nehmen, die Aussagen in Putins mehr als einstündiger Rede anzuhören. Die Schuld am nationalen Selbstbewusstsein der Ukrainer gibt er Lenin und der Idee des nationalen Selbstbestimmungsrechts, mit der die Bolschewiki das zaristische Russland bekämpft haben. Einmal an der Macht hielte sich Stalin nicht mehr daran. Putin geißelt die Entscheidung der kommunistischen Führer 1991 unter der Federführung Boris Jelzins und des damaligen ukrainischen Parteichefs Krawtschuk, den Sowjetrepubliken die Unabhängigkeit zu geben. Bei dem legendären Treffen auf einer weißrussischen Staatsdatscha floss viel Wodka.

Was Putin unterschlägt: Es gab um 1989 eine Aufbruchstimmung. Oppositionelle Volksfronten im Baltikum, in Kiew und Minsk stellten das Monopol der Kommunistischen Partei infrage. In Moskau wuchs die demokratische Opposition unter dem ehemaligen Dissidenten Andrej Sacharow. Toleriert und zum Teil ermutigt wurde die Entwicklung durch Michael Gorbatschow. Putin will jetzt das Roll Back der neu errungenen Selbstbestimmung der ehemaligen Sowjetrepubliken und Osteuropas durchziehen.

Unmittelbar sollen die russischen Truppen, die in Donezk und Luhansk vorrücken, wohl zuerst die Frontlinien stabilisieren. Sie könnten zusätzliche Gebietsansprüche im Donbas stellen. Aber ihre Mission geht weiter: Die staatliche Unabhängigkeit des Nachbarlandes ist das Ziel. Putin hat der Ukraine die Anerkennung als legitimer Staat entzogen. Er behauptet, in Kiew herrsche ein Marionettenregime der USA, das einen Genozid gegen die russischsprachigen Bevölkerungsteile ausübt und gemeinsam mit der NATO Atombomben gegen Russland plant. Es ist psychologische Kriegsführung, die mit der Realität nichts zu tun hat.

In seiner Rede erinnert der russische Präsident an den Beginn seiner Amtszeit, als er Bill Clinton gegenüber die Möglichkeit eines Beitritts Russlands in die NATO angesprochen hat. Clinton reagierte erstaunt und wich aus. 2001 hielt Putin eine versöhnliche Rede vor dem Deutschen Bundestag, zum Teil in deutscher Sprache.  

Der Westen hat es damals verabsäumt, eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa zu schaffen, an der auch Russland beteiligt gewesen wäre. Es stimmt, dass führende westliche Politiker in den heißen Phasen rund um die deutsche Wiedervereinigung eine Osterweiterung der NATO ausgeschlossen hatten. Festgeschrieben wurden diese Aussagen allerdings nie, die Ereignisse haben alle Konzepte überrollt.

Den Kalten Krieg hat die Sowjetunion zur Freude des Baltikums, Polens, Tschechiens und der anderen ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes verloren. Zwangsläufig veränderten sich die geopolitischen Kräfteverhältnisse. Eine Revision ungerechter Friedensregelungen zum Um und Auf des außenpolitischen Denkens zu machen, hat in der Geschichte zu Aufrüstung und neuen Aggressionen geführt.

Putin ist heute ein anderer Politiker als vor 10 oder 20 Jahren, als er mit einer Öffnung Russlands zum Westen spekulierte und sich bei Russland-EU-Gipfeln auch westlichen Journalistenfragen stellte. Die erbarmungslose Repression gegen Menschenrechtsorganisationen wie Memorial im Inneren, der Mordanschlag und die Inhaftierung des Antikorruptionskämpfers Navalny sowie die militärischen Abenteuer im Nahen Osten, Afrika und jetzt Europa verändern den Charakter seines Regimes. Dass Putin ständig seine Atomwaffen ins Spiel bringt, ist alarmierend, findet

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