Julian Assange, die Pressefreiheit und die USA, Falter Maily, 7.1.2021

Was mich dieser Tage ebenfalls beschäftigt ist das Urteil, mit dem die Londoner Richterin Vanessa Baraitser die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange in die USA blockiert. Die Freilassung auf Kaution hat sie abgelehnt. Trotzdem wird die amerikanische Justiz demnächst keinen Zugriff auf den bekanntesten Whistleblower unserer Zeit bekommen. Die Entscheidung ist ein Erfolg für den investigativen Journalismus. Das Urteil ist vollständig auf der Webseite des US-Journalisten Glenn Greenwald nachzulesen.

Ihr Mailyschreiber verfolgt das Schicksal Assanges seit geraumer Zeit. Als der Australier vor Jahren seine Vision der medialen Kontrollfunktion im Europaparlament präsentierte, setzte ich mich für einen Bericht im ORF gemeinsam mit Ian Traynor, dem inzwischen verstorbenen Korrespondenten des britischen Guardian, in Brüssel zu einem längeren Gespräch zusammen. Es kam danach zur spektakulären Zusammenarbeit von Wikileaks mit dem Guardian, die in der Veröffentlichung möglicher amerikanischer Kriegsverbrechen im Irak kulminierte.

Julian Assange trat stets als journalistischer Visionär auf, beseelt von der Idee, dass möglichst viele Staatsgeheimnisse und Geschäftsgeheimnisse an die Öffentlichkeit gebracht werden müssen, weil sie nur dazu da seien, Machtverhältnisse zu zementieren. Assange hat sich in den folgenden Jahren mit dem britischen Guardian und vielen anderen Partnern zerkracht.

Richterin Baraitser verweigert die Auslieferung in die USA, nicht aus inhaltlichen Gründen sondern ausschließlich weil Julian Assange psychisch so angeschlagen ist, dass sie einen Selbstmord in US-Haft befürchtet. Die juristische Causa wurde zur persönlichen Tragödie für den journalistischen Rebellen.

Es ist klar, dass der militärische Sicherheitskomplex der Supermacht Amerika, den Assange mit den Veröffentlichungen in Wikileaks bloßgestellt hat, ein Exempel statuieren will. Joe Biden sollte das Verfahren gegen Assange so schnell wie möglich einstellen.

Ein vernichtendes Urteil zu den Menschenrechtsverletzungen im Fall Assange kommt vom UNO-Berichterstatter zur Folter, dem Schweizer Juristen Nils Melzer. Melzer warnt, dass sich nach einer Verbesserung des Gesundheitszustandes von Assange die Frage der Auslieferung an die USA erneut stellen könnte. Zu den Enthüllung von Wikileaks zählt ein US-Helikopterangriff gegen Zivilisten, darunter Reuters-Kameraleute, in Bagdad 2007 – das von Assange präsentierte Video hat eine Diskussion über die Straflosigkeit der US-Besatzungssoldaten im Irak ausgelöst. Gerichtliches Nachspiel gab es für Assange und seine Informantin Chelsea Manning, nicht für die Helikopterbesatzung.

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