Wer sehen will, wie sich eine große Gesellschaft selbst schadet, blicke in die USA. Die Zerstörung von Umweltschutz und anderen Regeln kann man für ein Regime der Milliardäre wie unter weiterlesen...

Journalist und Historiker
In den USA demonstrieren an diesem Wochenende Millionen unter dem Slogan „No Kings“ gegen die autoritären Regierungsmethoden von Donald Trump. Damit endet die Schockstarre des demokratischen Amerikas nach dem Schnellfeuer an Regelbrüchen, mit denen das Weiße Haus das Land in Atem hält. „No Kings“ ist eine gute Losung, denn es geht darum, wie weit Donald Trump es schafft Gewaltenteilung und Demokratie außer Kraft zu setzen.
Die Proteste in hunderten Städten sind der Hintergrund für die Militärparade, die der Präsident in Washington DC organisieren ließ. Zu Ehren der US-Streitkräfte und an seinem Geburtstag. Das Publikum in der mehrheitlich linken Hauptstadt hielt sich in Grenzen. Die Roboterhunde, die von den Marines die Mall entlang geführt wurden, waren interessanter als der Präsident und seine Gattin.
An seinem Geburtstag hat Trump eine Stunde lang mit Wladimir Putin telefoniert. Das Weiße Haus ließ wissen, dass Putin Glückwünsche überbracht hat. Es ging auch um den russischen Ukrainekrieg und die Gefahren des Nahen Ostens nach dem israelischen Angriff auf den Iran. Putin könnte seinen Angriff innerhalb kürzester Zeit mit einem Waffenstillstand beenden und erklären, dass Russland gewonnen hat. Hat er aber nicht vor. Trump müsste Netanjahu die Daumenschraube ansetzen, um den von Israel begonnenen Feldzug gegen die Islamische Republik zu stoppen. Wird er genauso wenig tun. Die USA und die Russische Föderation machen die Welt durch ihr unverantwortliches Vorgehen noch unsicherer, als sie sowieso schon ist.
Mit dem Luftangriffskrieg gegen den Iran, den Israel letzte Woche begonnen hat, ist eine neue Extremsituation entstanden. Die iranische Führung war total überrascht, weil gerade Verhandlungen mit den USA über eine friedliche Lösung laufen. Stark geschwächt schlägt der Iran zurück. Es ist ein Krieg, der den Nahen Osten radikal verändert wird, soviel ist klar.
Unklar ist, was Israel wirklich erreichen kann. Der Jüdische Staat will als einzige Atommacht der Region nukleare Konkurrenz unter allen Umständen verhindern. Ob es möglich ist durch Bunker brechende Bomben die tief unter der Erde liegenden Atomanlagen der Iraner zu zerstören, ist fraglich. Nuklearexperten halten eine rein militärische Vernichtung des Atomprogramms für unmöglich, vor allem wenn die USA nicht mitmachen. Vielleicht wollen die Israelis die Iraner durch ihre Bomben zu einem Deal zwingen, der auf einen Abbruch des gesamten Atomprogramms herausläuft? Dazu war einst Libyens Gaddafi bereit. Das Beispiel des libyschen Revolutionsführers, der Jahre später von Rebellen massakriert wurde, macht diese Perspektive für die Teheraner Führung wenig verlockend.
Am Rande eines Jüdischen Antizionistischen Kongresses, der Ende letzter Woche in Wien-Favoriten stattfand, erinnert der Historiker Ilan Pappe daran, dass das militärische Establishment Israels gegen den von Netanjahu gewünschten Angriff auf den Iran lange opponiert hat. Barack Obamas Nukleardeal, den Trump dann zerstörte, erschien hohen Militärs als der bessere Weg. Die Mullahs brauchen die Bombe zu Abschreckung gegen ihre Feinde, nicht um Israel zu vernichten, was Palästinenser, Libanesen und Jordanier genauso wie Juden treffen würde, meint Pappe. Netanjahu zieht auch deshalb in den Krieg, um den gegen ihn laufenden Korruptionsprozess zu annullieren, bei dem ihm eine Verurteilung droht, urteilt der prominente israelkritische Historiker. Der Krieg gegen den Iran könnte eine Annullierung möglich machen.
Israels Premier Netanjahu bezeichnet den Angriff auf den Iran als Präventivschlag, um die durch zukünftige iranische Atomwaffen gefährdete Existenz Israels zu sichern. Politikwissenschaftler Heinz Gärtner bezeichnet diese Argumentation als rechtlich nicht zu halten: „Präventivkriege sind im Völkerrecht ausdrücklich verboten. Nur Verteidigungskriege sind erlaubt. Akzeptiert wird es höchstens, dass ein Staat vorbeugend angreift, wenn ein feindlicher Angriff unmittelbar bevor steht. Davon kann keine Rede sein. Alle westlichen Geheimdienste sind überzeugt, dass der Iran zur Zeit über keine Atomwaffen verfügt.“
Israel wird durch die Kriege in Gaza und dem Libanon, das militärische Vorgehen gegen das seit dem Umsturz hilflose Syrien und jetzt den Angriff auf den Iran zu einer Art Mini-Supermacht der Region. In unserer neuen Welt spielt das Völkerrecht keine Rolle mehr, es gilt das Recht der stärksten Mächte.
Die Hilflosigkeit der Mullahregimes im Iran ist ein weiterer bemerkenswerter Faktor. Die USA hatten wegen der drohenden Eskalation längst ihr Botschaftspersonal in der Region reduziert, da gingen die höchsten iranischen Militärs seelenruhig in ihren Privatwohnungen schlafen. Um in den Nachtstunden von israelischen Drohnen umgebracht zu werden. Die Luftabwehr scheint nach Zerstörungen im letzten Krieg nicht mehr funktionstüchtig. Die Ukrainer schießen deutlich mehr von Russland abgeschossene iranische Geschoße ab, als die Iraner selbst die israelischen Kampfgeräte.
Die israelischen Geheimdienste sind über die Staatsgeheimnisse des Gegners bestens informiert. Sie haben Agenten bis in die höchsten Regierungskreise. Anders sind die Mordanschläge auf Topwissenschaftler aus dem Nuklearbereich nicht zu erklären. Das Prestige des Mossad und der anderen Geheimdienste sind nach dem Debakel des 7.Oktober wieder hergestellt. Ein Aspekt wird dabei häufig vergessen: das Mullahregime ist offenbar im eigenen Land so verhasst, dass sich Iraner in den höchsten Regierungskreisen für Sabotageakte im Dienste Israels verdingen lassen.
„Unmittelbar kann das iranische Regime von einem Solidarisierungsreflex der Bevölkerung profitieren“, analysiert Politikwissenschaftler Heinz Gärtner. Gärtner setzt sich in einem neuen Buch „Ideen zum positiven Frieden“ mit dem iranischen Atomprogramm auseinander. „Langfristig könnten sich in der Führung in Teheran jetzt jedoch die Befürworter von Atomwaffen durchsetzen, um die bisher fehlende Sicherheitsgarantie zu bekommen.“
Die Geschichte kennt auch Fälle, in denen militärische Niederlagen in Revolutionen und einem Regimechange münden. Ob ausgerechnet Netanjahu mit seinen Appell zum Umsturz an die iranischen Bürger dazu beträgt, ist jedoch zu bezweifeln.
Noch ein Punkt ist wichtig. Die USA stehen durch Netanjahus Vorstoß echt blöd da. Trump hatte signalisiert, dass er diese Krieg nicht will, um dann doch grünes Licht zu geben. Israel ist finanziell und militärisch von den USA abhängig. Mit diesem Krieg wedelt einmal mehr der Schwanz mit dem Hund. Auch das gehört zur neuen Weltlage,
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Raimund Löw