Irans Frauen, der Gottesstaat und wir

Aufstandsbewegungen hat es im Iran seit den Protesten gegen die gefälschte Wahl des Hardliners Ahmedineschad  2009 in periodischen Abständen gegeben.  Die Islamischen Republik reagierte auf Revolten gegen Benzinpreiserhöhungen 2019 mit einer Repressionswelle, die 1500 Menschen das Leben gekostet hat. Seit die 22-jährige Mahsa Amini Mitte September in Polizeihaft umgekommen ist, weil sie angeblich ihr Kopftuch falsch getragen hat, erlebt der Iran einen Volksaufstand mit Auswirkungen, die weit über das Land hinausgehen.

  Im Europaparlament schneidet sich die schwedische Abgeordnete Abir al-Sahlani als Zeichen der Solidarität ein Büschel Haare ab.  Wütende iranische Frauen gehen vor laufenden Kameras demonstrativ mit Scheren gegen ihr Kopfhaar vor, das nach staatlichen Vorschriften nicht öffentlich zu sehen sein darf. Weltweit folgen  Schauspielerinnen und Prominente dem Beispiel der Iranerinnen. „Frauen, Leben, Freiheit“ und „Tod dem Diktator“ sind die Slogans der Frauenbewegung, die in 80 Städten des Iran auf Farsi und Kurdisch gerufen werden. Die in der Haft der Sittenpolizei umgekommene junge Frau war Kurdin. Es ist die breiteste Solidarität geworden, die es mit dem iranischen Widerstand je gegeben hat.

 Die Proteste halten an, obwohl das Regime behauptet die junge Mahsa Amini sei eines natürlichen Todes gestorben. Wohin sie führen ist offen. 2011 war der Selbstmord aus Verzweiflung des tunesischen Straßenverkäufers Mohammed Bouazizi Auslöser für den arabischen Frühling. Die Führung in Teheran ist vierzig Jahre nach der Revolution unter Chomeini ausgelaugt. Die Proteste führt der greise oberste Führer Ajatollah Ali Chamenei auf die Einmischung der USA, Israels und iranischer Verräter zurück. Die Regierung mobilisiert Revolutionsgardisten und Militär gegen Außenfeinde. Noch ist die Allianz des Regimes mit konservativen Teilen der Bevölkerung, darunter auch vielen Frauen, nicht zerbrochen. Aber sie ist schwer erschüttert.

   Die Islamische Republik kann auf  schiitische Verbündete im Libanon, im Jemen und im Irak zählen. Aber überall nehmen die Schwierigkeiten zu. Die größten Rückschläge muss Teheran im Irak erleben, wo sich ausgerechnet der schiitischer Milizführer Muktada al-Sadr mit Massenmobilisierungen gegen die Bevormundung aus dem Nachbarstaat zur Wehr setzt.

  Das Atomabkommen mit den USA, das Donald Trump gekündigt hat, ist in Schwebe. Es hätte längst wieder aufgenommen werden können. Statt der erhofften Lockerung der Wirtschaftssanktionen drohen die Europäer mit neuem Boykott zur Unterstützung der Frauenproteste. Für die Saudis und ihre antiiranischen Verbündeten sprudeln die Öleinnahmen, auf die der Iran wegen verzichten muss.  Zu den wenigen Verbündeten Teherans zählt Wladimir Putin. Der Iran liefert Drohnen gegen die Ukraine. Die iranische Führung hat sich in eine Sackgasse manövriert.

    Studentinnen mit und ohne Hidschab, der Kopfbekleidung nach den strengen religiösen Vorschriften, demonstrieren. Dass konservative Frauen mitmachen, zeigt, wie breit die Unzufriedenheit ist. Gleichzeitig verbrennen junge Frauen die ihnen verhassten Kopftücher.  Der Protest gegen den staatlichen Zwang, die Repression und das brüchige politische Gebäude der Islamischen Republik ist entscheidender als die Frage, wer sich wie kleidet.

 Die iranische Frauenbewegung verändert international die symbolische Bedeutung der islamischen Kopftuches. Die  Revolution gegen das Schah Regime 1979 war  ein Umsturz für  Freiheit gegen einen brutalen mit den USA verbündeten Herrscher. Die bald darauf erlassene Vorschrift, dass Frauen in der Öffentlichkeit einen Hidschab tragen müssen, war der Anfang des Weges in die Finsternis der religiösen Diktatur.  

Angestoßen durch die Revolution im Iran wuchs das islamische Selbstbewusstsein gegenüber dem säkulären Westen und dem amerikanischen Imperialismus. Islamistische  Parteien befeuern den  Vormarsch konservativer Rollenbilder. Von Kairo bis Istanbul sind heute viel mehr Frauen mit Kopftuch oder Schleier zu sehen, als vor fünfzig Jahren.

 In den USA und Europa kommt ein zusätzliches Motiv dazu. Junge Frauen greifen zum Kopftuch, um gegenüber der Mehrheitsgesellschaft stolz ihre kulturelle Identität zu zeigen. Die Gegenreaktion waren  Verschleierungsverbote in Europa samt Vorschriften, wann  Frauen welches Kopftuch tragen dürfen und wann nicht. Dass Frauen in Teheran Hidschabs verbrennen, macht Zwangsvorschriften in Europa nicht besser. Die feministische Revolution im Iran ermutigt jedoch  weltweit Frauen und Männer, sich gegen Kontrolle von oben durch religiösen und staatlichen Bekleidungszwang zur Wehr zu setzen. Egal, wie der Kampf um die Zukunft des Irans ausgeht.

ZUSATZINFORMATIONEN

Opfer der Repression

Seit Beginn der Proteste sind laut Amnesty International 130 Menschen Opfer der Repression geworden. Drohnenangriffe gegen Flüchtlingslager der Demokratischen Partei des irakischen Kurdistans und der linken Partei Komala im Nordirak haben viele Tote gefordert. In der Provinz Belutschistan gab es tödliche Zusammenstöße zwischen Exekutive und Demonstrantinnen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*