Frankreich vertritt im Nahen Osten europäische Interessen

In den USA hat es seit 9/11 einen eindeutig dschihadistischen Anschlag gegeben: ein tschetschenisches Brüderpaar bombardierte 2013 den Boston- Marathon. Zwei Flugzeugattentäter wurden beim Versuch überwältigt, in der Unterwäsche oder im Schuhzeug versteckten Sprengstoff zu zünden. Bei anderen Verschwörungen ließen Agents Provocateur des FBI die Gewaltpläne frühzeitig hochgehen.
Die schwersten Angriffe richteten sich gegen europäische Metropolen. Das Massaker am Madrider Zentralbahnhof 2004 riss 191 Menschen in den Tod. Bei den U-Bahnanschlägen in London 2005 starben 52 Personen. Es folgten: der Amoklauf gegen Militärangehörige im südfranzösischen Toulouse, der Überfall auf das Jüdische Museum in Brüssel, das Massaker von Charlie Hebdo und im jüdischen Supermarkt an der Porte de Vincennes.
Die Terrornacht von Paris ist der vorläufig letzte Schlag im Krieg islamistischer Kämpfer gegen den Westen. Die IS-Führung im syrischen Rakka gibt den Ton an, so wie früher Osama Bin Laden in Afghanistan. Die Bombe in der russischen Verkehrsmaschine über Sinai und ein Selbstmordanschlag in Südbeirut, wo die schiitische Hezbollah ihr Hauptquartier hat, legen den Verdacht nahe, dass es sich um koordinierte Aktionen handelt.
Die amerikanische Luftwaffe fliegt die meisten Angriffe gegen IS. Trotzdem ist Europa von diesem Mehrfrontenkrieg am stärksten betroffen. Und immer wieder steht Frankreich im Zentrum.
Kein anderes Land ist so eng mit der arabischen Welt verbunden. Als ehemalige Mandatsmacht des Völkerbundes hat Frankreich dem Libanon und Syrien seinen Stempel aufgedrückt. Erst nach dem algerischen Unabhängigkeitskampf hat sich das Land aus dem Maghreb verabschiedet. Terrorismus gehörte während des Algerienkriegs auf beiden Seiten zur militärischen Taktik. Millionen Algerier – Christen, Juden und Moslems – haben nach der algerischen Unabhängigkeit in Frankreich eine neue Heimat gefunden.
In der aktuellen Auseinandersetzung ist Paris jedoch aus anderen Gründen bevorzugtes Feindbild islamistischer Gruppen. Frankreich ist der wichtigste EU-Staat mit globalen Ambitionen. Nicolas Sarkozy hat einst die NATO gedrängt, in Libyen den Rebellen gegen Gaddafi zu Hilfe zu kommen. Francois Hollande wollte nach den Giftgasangriffen in Syrien Baschar al Assad mit Waffengewalt stürzen. Das britische Unterhaus und Barack Obama vereitelten den Plan. Bei den Luftangriffen gegen IS-Stellungen in Syrien ist die französische Luftwaffe der wichtigste Partner der US-Airforce.
Dass Frankreich seine Soldaten in den Kampf schickt, wenn andere Staaten zögern, hat im westafrikanischen Mali und in der Zentralafrikanischen Republik Bürgerkriege gestoppt. Die koloniale Tradition des Landes ist der Hintergrund. Aber das außenpolitische Engagement in Paris auf neokoloniale Reflexe zu reduzieren geht am Wesentlichen vorbei.
Das Chaos im Nahen Osten gefährdet die Sicherheit Europas. Die Europäer müssen gegen einen deklarierten Feind wie den Islamischen Staat auch militärisch handlungsfähig sein. Dass alle Vorstöße in Richtung einer Europäischen Streitkraft bisher ins Leere gelaufen sind, erweist sich als verheerende Schwäche. Die Geheimdienste in der EU bespitzeln lieber befreundete Regierungen als ernsthaft ihr Know How zusammen zu legen. Frankreich vertritt im Nahen Osten europäische Interessen.
Einer der Attentäter von Paris soll als Flüchtling aus Syrien über Griechenland nach Frankreich gekommen sein. Die politische Sprengkraft dieser Nachricht ist immens, sollte sie sich bestätigen. Der islamistische Terror inmitten der europäischen Flüchtlingskrise ist wie ein Geschenk an die radikale Rechte. Bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2017 wird es darum gehen, ob Marine Le Pen das Rennen macht. Gewinnt in Frankreich die Chefin der extremen Rechten, dann zerbricht Europa.
Der Versuchung, den Islam zum Außenfeind zu erklären, um den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, muss Europa widerstehen. Der Islam gehört zu Europa . Einen Religionskrieg zu entfachen war das erklärte Ziel von Al Kaida bei 9/11. Bei all seinen Fehlkalkulationen ist George W.Bush in diese Falle nie gegangen. Nach dem Anschlag lud er die islamischen Führer Amerikas zum Ramadan ins Weiße Haus. Das Ziel der Selbstmordattentäter von Paris war das Volk, am Fußballplatz, in den multikulturellen Lokalen, beim Konzert, damit die erwartete antiislamische Repression die Moslems Europas an die Seite der Dschihadisten drängt. Den Gefallen, dass die Rechnung aufgeht, sollte man IS nicht machen.