Von den Nachfolgern Mao Tsetungs kannte der Westen bisher bestenfalls Deng Xiaoping. Der Reformer hatte mit der Öffnung zur Marktwirtschaft den Aufstieg des Riesenreiches begründet. Die Panama Papers bringen Nach-Nachfolger Xi Jingping in die Schlagzeilen. Der Schwager des gegenwärtigen Parteichefs steht auf der Liste der Familienmitglieder chinesischer Spitzenpolitiker, die über die Rechtsanwaltskanzlei Mossack Fonseca ihr Geld in Briefkastenfirmen gesteckt haben. Mit dem Amtsantritt Xi Jingpings wurde das Investment beendet. Auch andere Politbüromitglieder habe Verwandte, die zu den Superreichen des Landes zählen.
Mit seiner Antikorruptionskampagne will Parteichef Xi die Symbiose der kommunistischen Eliten mit der neuen Bourgeoise vom Geruch des Illegitimen befreien. Das macht die Finanzspekulation von Angehörigen besonders anrüchig. Die Enthüllungen gelten in Peking als so sensibel, dass die Zensur mit aller Macht versucht, sie von der chinesischen Öffentlichkeit fern zu halten. Der Kampf gegen die Korruption war die Notbremse im letzten Augenblick. Die Wut in der Bevölkerung über ein allgegenwärtiges System der Bestechung bedrohte das politische System.
Inzwischen ist Xi als Person beliebter als die Partei. Dass sogenannte Tiger aus der Oberschicht über Misswirtschaft und Korruption stürzen, befriedigt das Gerechtigkeitsgefühl der Bürger. Die Lebensverhältnisse von hunderten Millionen haben sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verbessert. Solange es mit der Wirtschaft weiter aufwärts geht, hält sich der Ärger über die Milliardäre und Millionäre in Grenzen.
Der britische „Economist“ präsentiert Xi im Mao-Look, verbunden mit der Warnung vor einem neuen Personenkult. Tatsächlich hat kein Parteichef seit Mao so viel Macht angehäuft wie er. Durch gezielte Ermittlungen gegen Rivalen hat sich Xi vom System der kollektiven Führung befreit. Xi Jinping amtiert nicht nur als Parteichef und Staatspräsident. Er ist Vorsitzender der Militärkommission und Chef des Sicherheitskomitees. Xi ist für Wirtschaftsreformen und die Kontrolle des Internets zuständig.
In die internationalen Medien gerät der Präsident zusätzlich wegen einer merkwürdigen Affäre. In einem anonymen Schreiben angeblicher treuer Parteimitglieder wird er zum Rücktritt aufgefordert. Seine persönliche Machtfülle sei eine Gefahr. Die verbale Attacke hätte als übliche Polemik regierungsfeindlicher Exilpublizisten abgetan werden können. Wäre der Brief nicht auf der Onlineplattform einer parteinahen Zeitung gelandet. Die sonst allgegenwärtige Internetzensur hatte geschlafen. Es gab Rücktritte und Festnahmen. Die Obrigkeit nimmt den Aufruf offenbar ernst.
Dass Xi Jinping Feinde hat, ist nicht verwunderlich. Die Antikorruptionskampagne trifft die Säulen der Gesellschaft. Provinzgouverneure und die Generalität, Geheimdienstchefs, Fernsehverantwortliche und Bankdirektoren wurden gesäubert. Die ominöse Rücktrittsaufforderung beinhaltet die kaum verhüllte Drohung, dass auch die persönliche Sicherheit des Vorsitzenden und seiner Familie auf dem Spiel stehe.
Xi’s Vater Xi Zhongxun war Regierungsmitglied unter Mao Tsetung. Er fiel in Ungnade und wurde in der Kulturrevolution verhaftet. Der Sohn verbrachte Jahre in der Verbannung auf dem Land. Trotzdem verhindert er bis heute eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Katastrophen, die der Große Steuermann verursacht hat.
Die prägende Erfahrung der sogenannten Princelings, die als Kinder von Revolutionären das heutige China regieren, war der Zusammenbruch der Sowjetunion. Der Schock wirkt bis heute nach. Die Wirtschaft am Wachsen zu halten und die politische Entwicklung niemals aus der Hand geben, gelten als die wichtigsten Lehren aus dem abrupten Ende der KPdSU.
Unter Xi hat die Verfolgung von Dissidenten und unbequemen NGOs zugenommen. Mit Massenrepression hat das allerdings nichts zu tun. Die Internetzensur bringt einen als Korrespondent zur Verzweiflung. Aber VPN Kanäle, die es erlauben, blockierte Seiten wie Google oder die New York Times zu erreichen, sind toleriert. In China herrscht ein System der aufgeklärten Diktatur.
Xi Jinping stehen zwei reguläre Amtszeiten von je fünf Jahren zu. Sieben Jahre liegen noch vor ihm. Seine politische Macht hat er gefestigt. Mit den sozialen Gegensätzen umzugehen, die der staatlich kontrollierte Kapitalismus in China geschaffen hat, wird schwieriger sein, als unangenehme Nachrichten über die Finanzgeschäfte der führenden KP-Familien zu unterdrücken.