Der Putsch in Niger kann zum Krieg führen, 8.8.2023

  Ende Juli hat der Kommandant der  Präsidialgarde in Niger den Präsidenten gestürzt, den er eigentlich beschützen sollte. Das Militär übernahm die Macht. In der Sahel-Zone ist es der fünfte Militärputsch innerhalb kurzer Zeit. Die Umsturzserie richtet sich auch gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich und den Westen. Westafrika steht plötzlich im internationalen Scheinwerferlicht.

 Die französische Luftwaffe evakuiert EU-Bürger aus Niger, die USA sind alarmiert und Russlands Söldnerchef Prigoschin, kaum heil den Wirren der  eigenen Rebellion entkommen, gratuliert den Putschisten. Die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS mit der Regionalmacht Nigeria an der Spitze will die Rückkehr des zivilen Präsidenten Mohamed Bazoum erzwingen. Es könnte zu einem  Krieg in Westafrika kommen.

 Der Putsch in Niger ist der vorläufige Tiefpunkt einer Destabilisierung der gesamten Sahelzone, meint die ehemalige EU-Botschafterin im Niger und in Mali Irene Horejs. Seit Jahren verschlechtert sich die Situation im Süden der Sahara. Westafrikanische Formationen von Al Quaida und des Islamischen Staates überfallen Dörfer, Märkte und Armeestützpunkte und rekrutieren junge Männer unter der armen Landbevölkerung, für die der Besitz  einer Waffe und ein Sold eine plötzliche Verbesserung ihres Lebens bedeutet.   Die städtischen Eliten in Staaten wie Mali, Burkina Faso und jetzt Niger reagieren hilflos.

 2012 stand der Norden von Mali plötzlich unter der Kontrolle von rebellierenden Tuareg, denen sich dschihadistischen Gruppen an geschlossen hatten. Frankreich bewahrte das Land mit einem raschen Militäreinsatz vor dem Chaos, konnte aber den  Vormarsch von dschihadistischen Gruppen in anderen Teilen des Landes nicht verhindern. Noch heute sind EU-Ausbildner und Blauhelme in Mali, darunter auch ein halbes Dutzend Soldaten des österreichischen Bundesheeres. Für die Bevölkerung und die Militärs der Region haben die Europäer im Kampf gegen die Rebellen versagt. Regierungen, die als frankreichfreundlich gelten, werden abgesetzt.  Die neuen Machthaber öffnen den  russischen Wagner Söldnern ihre Tore.  Die im Land stationierten  UNO-Truppen wurden  von der malischen Regierung aufgefordert, das Land zu verlassen.

  Der demagogische antikolonialistische  Reflex funktioniert. Frankreich ist in Niger mit 1500 Soldaten präsent. Der gestürzte Präsident galt als Marionette des Elysee, weil er zugestimmt hat sein Land zur Operationsbasis des Westens in der Sahelzone zu machen. Mit 1000 Soldaten bauen die USA einen Stützpunkt für Drohneneinsätze. In der Hauptstadt Niamey marschieren Demonstranten mit russischen Fahnen vor der französischen Botschaft auf, man lässt Putin hochleben.  

  Niger galt bei Europäern und Amerikanern als sicherer Partner, wenn in der Region drunter und drüber geht. Die französischen Truppen, die aus Mali ausgewiesen wurden, konnten sich auf ihre Basen in Niger zurückziehen. Ein allfälliger Rückzug der  deutsche Bundeswehr aus Mali soll ebenfalls über Niger erfolgen. 

  Niger ist ein bitterarmes Land von strategisch großer Bedeutung. Das Land produziert 5 Prozent des Urans der Welt. Die Förderung ist zum großen Teil in den Händen ausländischer und vor allem französischer Unternehmen. Sie beliefern die Atomkraftwerke in Frankreich.

  Auch in der Migrationspolitik kooperierte die Regierung des Niger mit der EU, oft zum großen Unmut der Bevölkerung. In der 100 000 Einwohner Wüstenstadt Agadez, früher Zentrum des aufkommenden Sahara Tourismus,  wurden alle privaten  Pick Up trucks konfisziert, um den Transport von Migranten durch die Sahara zu unterbinden. Die Trucks, die ganze Familien ernährt hatten, galten jetzt plötzlich als Instrumente von Schleppern. Den Besitzern wurde europäische Unterstützung zur Entwicklung von Kleinunternehmen zugesichert, wirklich etwas davon gesehen haben wohl nur wenige. 

 Der  Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen hat die Situation verschärft, sagt Afrikakennerin Irene Horejs. Früher sind junge Männer, vor allem Tuareg, aus Niger und Mali  als Gastarbeiter nach Libyen gezogen, wo sie ein Einkommen für sich und ihre Familien verdienen konnten. Viele von ihnen auch als Söldner in Gaddafis Armee. Mit Ende des Gaddafi-Regimes ging diese Lebensbasis verloren und Hunderttausende kehrten zurück, ausgebildete bewaffnete Kämpfer – ohne Zukunftsperspektive im eigenen Land. Während sich die jungen Tuareg zumeist den Aufständischen ihres Volkes anschlossen , kamen andere später leicht  in die Gefolgschaft von dschihadistischen Predigern und Gruppen. 

 Möglicherweise bewegt der vereinigte Druck der westafrikanischen Nachbarn, Europas und Amerikas die Putschisten in Niger zum Einlenken. Entwicklungsperspektiven für ihre Länder können die Militärs keine zeigen. Im benachbarten Mali haben Wagnersöldner Massaker angerichtet, wie die UNO bestätigte. Aber Europa hat die Kontrolle verloren. Die Militärregierungen versprechen sich gegenseitige Unterstützung, sollten sie angegriffen werden. Die Sahelzone droht zu Frankreichs Afghanistan zu werden. 

ZUSATZINFORMATIONEN

Turbulenter Sahelstaat Niger

Der jetzt gestürzte Mohamed Bazoum war 2020 in freien Wahlen  Präsident geworden. Putschist Tschiani gilt als gut vernetzter Militär. Die 26 Millionen Einwohner gehören zu den Ärmsten Afrikas.  In der Sahelzone bewirkt der  Klimawandel, dass sich die Wüste ausweitet.

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