50 Jahre Pinochet Putsch in Chile, 5.9.2023

  Augusto Pinochet, der Putschist des 11.September 1973 in Chile, lässt Lateinamerika auch nach einem halben Jahrhundert nicht los. Das düstere Foto des Diktators in Generalsuniform mit seinen dunklen Brillen, aufgenommen wenige Tage nach der Machtergreifung, wurde zum Symbol für die Straflosigkeit der Militärs bei  Folter und Mord im Namen eines Kampfes gegen den Kommunismus.  

 In den Morgenstunden des 11.September 1973 begann die chilenische Luftwaffe die Moneda, den Sitz des eigenen Staatsoberhauptes zu bombardieren. Salvador Allende, der demokratisch gewählte marxistische Präsident, weigerte sich zu kapitulieren und ging in den Tod, mutmaßlich durch Suizid.

   Ein halbes Jahrhundert später spaltet die Erinnerung an Pinochet und Allende nach wie vor das Land. Chiles neuer Präsident Gabriel Boric, als Kandidat des bunten Linksbündnisses Frente Amplio frisch gewählt, ging zu allererst zur Gedenkstatue für Allende unweit der Moneda. Linke und rechte Regierungen haben einander seit dem Ende der Diktatur 1990 immer wieder abgewechselt. Für die Opfer gibt es Gedenkstätten und ein  Menschenrechtsmuseum in der Hauptstadt.  Eine Untersuchung des Schicksals von 1000 bisher nicht aufgeklärten Verschwundeten soll erst jetzt beginnen.

  Pinochet gilt den rechten Ultras als Held, der Chile vor Chaos und Kommunismus gerettet hat. In den Kasernen der Streitkräfte hängen die Porträts des ehemaligem Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Rechtsparteien lehnen eine Verurteilung des Putsches und einen von Boric für die Zukunft gewünschten feierlichen Gewaltverzicht ab.

  Die Verschwörungen rechter Militärs war von den USA  ermutigt worden. Der CIA finanzierte Unternehmerstreiks. Richard Nixon und Henry Kissinger waren alle Mittel recht um ein zweites Kuba zu verhindern. Viele Details sind immer noch geheim. Die linke US-Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez ist vor dem Jahrestag nach Santiago gereist, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, dass die Chile-Geheimdokumente vollständig veröffentlicht werden müssen.

  Die chilenische Linksregierung von 1970 bis 1973 war ein Versuch aus dem Elend des lateinamerikanischen Kapitalismus auszubrechen. Salvador Allende wollte einen verfassungsmäßigen, friedlichen Weg zum Sozialismus, wie es damals hieß. Die Angst vor dem Kommunismus auf der Rechten ließ keine Differenzierungen zu. Die erfolgreiche kubanische Revolution  saß den Eliten in den Knochen.   

 Nach dem Vorbild Fidel Castros und Che Guevaras suchten Guerilleros einen alternativen Weg zum Reformismus. In Chile warnte die Bewegung der Revolutionären Linken MIR vor Illusionen in die Verfassungstreue des Militärs. Bei einer triumphalen Reise durch Chile schenkte Castro seinem Gastgeber ein Kalaschnikow-Sturmgewehr vom Typ  AKMS, weil er meinte, der Zeitpunkt werde kommen, an dem sich Allende mit der Waffe in der Hand verteidigen  muss.

  Die Abwehr des konterrevolutionären Pendelschlages erwies sich als Illusion, egal ob verfassungstreu oder revolutionär. Miguel Enriquez, der Anführer der aus dem Untergrund agierenden MIR kam bei einem Feuergefecht um. Der friedliebende Sänger Victor Jara war wenige Tage nach dem Putsch wie viele andere im Chile-Stadion gefoltert und umgebracht, es heißt seit 2003 Estadio Victor Jara. Ein weiteres, noch größeres Folterzentrum befand sich im Nationalstadion.  Der Schuldspruch gegen die Folterer in Uniform wurden erst im Sommer 2023 rechtskräftig.   

  Solidarität mit dem Widerstand war in ganz Europa ein Anliegen der Linken. Die Republik Österreich öffnete auf Betreiben Bruno Kreiskys 1500 chilenischen Flüchtlingen ihre Tore. In der Chile-Solidaritätsfront der SPÖ, die vom Lateinamerika-Kenner Herbert Berger geführt wurde,  manifestierte sich internationale Solidarität der Sozialdemokratie, die bei der Verteidigung der Ukraine von heute vermisst wird.   

Die chilenischen Militärs sind längst in den Kasernen zurück, wie überall sonst in Lateinamerika. Die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen passieren ausgerechnet in Nikaragua unter dem ehemaligen Guerillafrüher Daniel Ortega, dessen Sandinisten einst mit einer bewaffneten Revolution erfolgreich waren.

  Zum Erbe der Militärherrschaft in Chile gehört der extreme Wirtschaftsliberalismus unter Pinochet. Der General ließ mit eiserner Hand  die Rezepte der von Milton Friedman geprägten Chicago Boys  zur totalen Privatisierung aller gesellschaftlichen Bereiche umsetzen. Bei Spitälern, Universitäten und Telekommunikation gab es später Korrekturen. Aber die privatisierten Pensionskassen wurden nicht angetastet. Trotz mehrerer Protestwellen der Bevölkerung fehlt ein halbwegs akzeptables soziales Netz.

  Hochfliegende Pläne der chilenischen Linken zu einer völlig neuen Verfassung inspiriert von den sozialen Rechten unter  Allende sind bei einem  Referendum im letzten Jahr  gescheitert. Ein Schlussstrich unter Pinochets Wirtschaftsliberalismus ist schwieriger als  die Überwindung der Militärdiktatur selbst es war.

ZUSATZINFOS

Chile damals und heute

Unter Pinochet wurden 1973-1990  ca.38 000 Personen gefoltert oder ermordet. Bis zu einer Millionen flohen ins Exil. Chile zählt mit 19 Millionen Einwohnern zu den entwickelten Staaten  Lateinamerikas. Präsident Gabriel Boric erhielt 2021 55,9 Prozent der Stimmten.

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