Nach dem Brexit Referendum registrierte die britische Polizei ein merkwürdiges Phänomen: rassistische „hate crimes“ nahmen zu. Der Erfolg der Brexiteers verstärkte die rechtsextreme Rhetorik. Letzte Woche war es wieder so weit: die Polizei registriert islamfeindliche Angriffe in ganz Großbritannien. Auslöser für den Straßenrassismus sind aber nicht die Wirren um den Austritt aus der EU, sondern das Blutbad in den Moscheen von Christchurch im fernen Neuseeland.
Das Massaker auf der anderen Seite des Globus hat weltweites Entsetzen ausgelöst. 50 Gläubige, darunter viele Kinder, sind von einem rassistischen Terroristen ermordet worden. Paradoxerweise hat die Tragödie die Aggressivität gegenüber islamischen Symbolen verstärkt. Nach Angaben der britischen NGO Tell Mama hat es ein derartiges Klima des Hasses das letzte Mal vor zwei Jahren gegeben, als ein dschihadistischer Selbstmordattentäter bei einem Popkonzert in Manchester 23 junge Leute in den Tod riss.
Vor Gebetshäusern in Schottland und Mittelengland verstärkt die Polizei ihre Präsenz. Frauen im Hidschab, dem traditionellen Kopftuch, berichten, dass sie von Passanten mit Schießgesten traktiert werden. „Ihr habt das verdient“, „Ihr gehört alle erschossen“, „Moslems müssen sterben“, lauten die Sprüche.
Der reaktionäre Nationalismus des Brexit, islamistischer Terror und die multikulturelle Realität machen die britische Straße zum Seismographen für das zerstörerische Potential unserer Zeit.
Der Ort des Massakers von Christchurch ist der südliche Teil Neuseelands. Der Massenmörder Brenton Tarrent ist Australier. Die Opfer sind Muslime, eingewandert aus dem Nahen Osten und Südostasien. Aber mit dem Land selbst hat die Tat wenig zu tun. In Neuseeland gehören gerade 1,2 Prozent einer islamischen Glaubensgemeinschaft an.
Der Attentäter von Christchurch ist Teil der globalen Radikalisierung weißer Rassisten, die von Trumps Anhängern in den USA bis zu Identitären und Rechtspopulisten in Europa reicht.
Der Text, den der Massenmörder ins Internet gestellt hat, trägt den Titel „The Great Replacement“, „Der Große Austausch“. Hinter der Parole steht der Wahn, dass weiße Christen durch Einwanderung und die höheren Geburtenraten von Muslimen verdrängt werden. Finanzkapitalismus und Flüchtlinge gelten als Teile einer globalen Verschwörung. Frankreich, mit seinem afrikanischen und maghrebinischen Bevölkerungsanteil, ist dem Attentäter ein besonderer Greul.
Auch Österreich kommt in den Auslassungen von Brenton Tarrent vor. Er zitiert die Wiener Türkenbelagerung von 1683. Österreicher, die nach Bayern umziehen, sind keine Migranten, weil sie dem gleichen Volksstamm angehören, beruhigt er Gleichgesinnte. Tarrent lobt ein angebliches faschistisches Netzwerk in Polizei und Militär. Er bekennt sich zum norwegischen Terroristen Anders Breivik, der vor acht Jahren 77 Menschen ermordet hat. Ob es bei einer Europareise des Mannes im vergangenen Jahr Kontakte zu hiesigen Rechtsextremen gab, untersuchen die Polizeibehörden. Der Standard hat Ausläufer eines rechtsextremen „Tag-X“ Netzwerks nach Österreich aufgedeckt.
In seinem 74 seitigen Manifest beruft sich der australische Terrorist auf den britischen Mussolini-Imitator Oswald Mosley. Er bezeichnet sich als Eco-Faschist. Die Flüchtlinge sind für ihn Invasoren, die man bekämpfen muss, wie im Krieg. Sogar die Ermordung der Kinder in den Moscheen von Christchurch rechtfertigt er.
Die Bereitschaft zu extremer Gewalt unterscheidet die Ideen des Attentäters von anderen rechtsextremen Gruppen. Die Vorstellung, dass unsere Gesellschaft Überfremdung droht, reicht jedoch bis tief in den politischen Mainstream. Viktor Orbans Förderprogramm, damit mehr ungarische Kinder geboren werden, basiert auf völkischer Logik. Türkisblau in Österreich will Zuwanderer abschrecken, nicht integrieren.
Neuseelands junge Premierministerin Jacinda Ardern hat in der Trauer um die Toten einen Kontrapunkt zum völkischen Rassismus gesetzt. Die Angehörigen in Christchurch besuchte sie im schwarzen Kopftuch. Muslime gehören zu uns, Betende der Moscheen sind Teil der neuseeländischen Gesellschaft, lautet ihre Botschaft.
Bereits nach dem Massaker in Utoya und Oslo durch Breivik 2011 hatte der damalige norwegische Premierminister Stoltenberg gefordert, den Kampf für Freiheitswerte offensiv zu führen.
Rassistischer Rechtsradikalismus und Dschihadismus verfolgen spiegelverkehrt die gleichen Ziele: die multikulturelle Demokratie zu zerstören und ein imaginäres Herrenvolk an die Macht zu bringen. Nach Christchurch ist es Zeit, die rechtsextreme Bedrohung so ernst zu nehmen, wie Al Kaida und den IS nach den Terroranschlägen von Paris und Brüssel.