Russland-USA: warum Putin Öl ins Feuer gießt, 12.10.2016

Als Vladimir Putin 1999 von Boris Jelzin zum Premierminister gemacht wurde, hatte der ehemalige KGB-Mann ein klares Ziel: er rüstete zum zweiten Tschetschenienkrieg. Die schmähliche Niederlage der russischen Streitkräfte in der ersten Schlacht um Grosny sollte wettgemacht werden. Die Kaukasusrepublik hatte sich unter einer chaotischen islamistischen Führung vom Kreml losgesagt. Mysteriöse Bombenanschläge gegen Wohnhäuser in Moskau, bei denen Hunderte ums Leben kamen, waren der offizielle Anlass für den neuen Feldzug. Dem Bombenhagel auf ihre Hauptstadt hatten die tschetschenischen Freischärler nichts entgegen zu setzen. Unter dem lokalen Machthaber Kadyrow entstand ein moskaufreundliches Regime. Der Zerfall der Russischen Föderation war gestoppt.
Der Sieg in Grosny hat Putin zum starken Mann Russlands gemacht. In Aleppo wiederholt er die Strategie des Tschetschenienkrieges. Bereits in der sowjetischen Zeit war Syrien ein enger Verbündeter Moskaus. Hafiz al Assad, der Vater des amtierenden Präsidenten, hat seine Herrschaft durch ein Blutbad gegen sunnitische Aufständische in der Stadt Hama gerettet. Der Sieg der syrischen Regierungstruppen zum Preis der Zerstörung Aleppos soll den Sohn nach russischen Vorstellungen zum Kadyrow des Nahen Ostens machen. Unter Putins Führung müsste Russland endgültig wieder als Weltmacht ersten Ranges anerkannt werden.
Die Bomben auf Aleppo sind ein Wendepunkt in der Weltpolitik. Aus Europa und Amerika kommt die Forderung, die Bombardierung der zweitgrößten Stadt des Landes als Kriegsverbrechen zu ahnden. Die Obama-Administration hatte ein amerikanisches Eingreifen in den Syrienkrieg nach Assads Giftgaseinsätzen abgelehnt und auf eine Verständigung mit Moskau gesetzt. Jetzt fühlt sich Washington durch die hinhaltenden Waffenstillstandsverhandlungen hintergangen, die in Wirklichkeit nur der Aufrüstung des Assad-Lagers gedient haben. Auch Europa ist alarmiert. In Deutschland, das traditionell auf Dialog mit Moskau setzt, hat eine Diskussion über die Notwendigkeit neuer Russland-Sanktionen eingesetzt. Seit dem sowjetischen Eingreifen in Afghanistan 1979 waren die Gräben nie so tief.
Der Vergleich mit dem Kalten Krieg, der manchmal für die gefährliche Lage gezogen wird, passt nur beschränkt. Aber Putin setzt ganz bewusst auf Zeichen, die an die alte Rivalität der Supermächte erinnert. Das Verteidigungsministerium denkt an Militärbasen in Kuba und Vietnam, heißt es in Moskau. Per Dekret setzt Putin einen Vertrag über die Entsorgung von Plutonium aus dem Atomwaffenarsenal außer Kraft. Militärexperten geben dem Schritt vor allem symbolische Bedeutung. Der russische Präsident gießt politisch Öl ins Feuer. Auch während der Krimkrise hat Putin gezielt das eigene Atomwaffenpotential ins Spiel gebracht. Russland mag die Wirtschaftskraft eines europäischen Kleinstaates haben, die russische Atomstreitmacht hat ihr Bedrohungspotential trotzdem nicht verloren, lautet die Botschaft.
Die Rückkehr zu einer bipolaren Welt, in der die Rivalität zweier Supermächte alles überschattet, wird es nicht geben. Dazu sind auf der internationalen Bühne zu viele Akteure aktiv, die weder von Washington noch von Moskau kontrolliert werden. Aber eine Erniedrigung durch Russland, wie sie Barack Obama in den letzten Monaten seiner Amtszeit erlebt, werden die USA nicht hinnehmen.
In Syrien selbst bleiben die Optionen Amerikas beschränkt. Eine Flugverbotszone für Aleppo, die Luftangriffe des Regimes auf die Zivilbevölkerung verhindern soll, ist ausgeschlossen. US-Flugzeuge, die syrische Bombenangriffe verhindern müssten, würden zum Ziel des russischen Militärs. Moskau warnt, dass russische Boden-Luft-Raketen präsent sind. Die USA könnten versucht sein, den Druck auf Russland in Europa zu erhöhen. Der französische Außenpolitikexperte Bernhard Guetta erwartet einen amerikanischen Anlauf, um die Ukraine vielleicht doch in die NATO aufzunehmen. Deutschland und Frankreich haben einen solchen Schritt, der in Moskau als feindlicher Akt aufgenommen würde, bisher verhindert. Aber die Karten werden neu gemischt. Die Argumente, dass Europa auf Russland Rücksicht nehmen muss, werden durch die Vorstöße Putins auf der Krim und in Syrien entwertet.
Europa hat im Kalten Krieg zu einer Stabilität gefunden, die sich manche heute zurückwünschen. Die Rückkehr der alten Feindschaften, die zur Tragödie von Aleppo geführt hat, wird ein Viertel Jahrhundert später dagegen das globale Chaos weiter verstärken.