Wie ist es zu erklären, dass ausgerechnet die konservativen Staats- und Regierungschefs so wenig Begeisterung für Jean Claude Juncker zeigen? Er war doch ihr Spitzenkandidat und ist immerhin der Wahlsieger?
Ja, aber die ganze Idee der europaweiten Spitzenkandidaten, die Kommissionspräsidenten werden sollen, ist ja etwas völlig Neues gewesen, bei diesen Europawahlen und sie war umstritten. In einer ganzen Reihe von Ländern, in Großbritannien oder in Skandinavien haben die Parteien bei diesem Experiment überhaupt nicht mitgemacht.
Und auch in Österreich, muss man ehrlich sagen, sind die europäischen Spitzenkandidaten nicht im Zentrum gestanden.
Viele Staatschefs wollen einfach keinen starken Kommissionspräsidenten, der sich auf den europäischen Wählerwillen berufen kann, und der dann vielleicht weniger auf Zurufe aus Berlin, London der Paris reagiert
Jetzt gibt es eine Denkpause. Vielleicht gelingt bis Ende Juni David Cameron, den britischen Premierminister, doch an Bord zu bringen und für Juncker zu erwärmen.
Warum kommt man GB so entgegen, auch um den Preis die anderen so stark vor den Kopf zu stoßen?
Die Briten sind nicht alleine, auch Dänen, Schweden, Ungarn sind zögerlich bis ablehnend, wenn es darum geht eine übernationale Demokratie zu entwickeln in Europa.
Und dann gibt es in der EU einen Drang zum Konsens, der bei wichtigen Personalentscheidungen besonders ausgeprägt ist. Niemand soll sich überfahren fühlen.
Wenn ein ganzes Land in Opposition zum EU-Regierugnschef steht, dann wäre die Gefahr einer Abspaltung groß. Großbritannien würde sich hinausgedrängt fühlen.
Es stimmt, die Enttäuschung der Wähler wäre eine riesige Gefahr, wenn Juncker abgelehnt wird. Daher ist Juncker ja auch keineswegs aus dem Rennen, er kann es noch immer werden.
Aber dass ein erfolgreicher Spitzenkandidat, der keine absolute Mehrheit hat, dann doch nicht Regierungschef wird, das gibt es nach nationalen Parlamentswahlen immer wieder.
Wie lange kann sich der Verhandlungsprozess ziehen, bevor die nächste Kommission tatsächlich steht?
Die Wahl des neuen Kommissionspräsidenten ist Mitte Juli geplant. Bis dann müssten die Regierungschefs grünes Licht für Juncker geben, wenn sie dem Wunsch des Europaparlaments folgen.
Die Entscheidungsprozesse laufen eben immer doppelt in der EU: auf der Ebene der Staaten und im Europaparlament. Das Parlament tritt jetzt selbstbewusster auf als früher, dass das nicht ohne Konflikte abläuft ist eigentlich normal.