Merkel: Bilanz einer Machtpolitikerin

  Angela Merkel hielt  in der deutschen Politik 16 Jahre die Fäden in der Hand. Sie hat die Stellung Deutschlands in der Welt geprägt. Aber was hat sie als Person verändert?  Bei den Elogen auf die Kanzlerin, die weltweit zu lesen sind, steht die Verlässlichkeit Deutschlands in ihrer Regierungszeit an vorderster Stelle.  Als sich die USA unter Donald Trump von der Rolle der Führungsmacht verabschiedeten, schien es, als habe Merkel das Banner der liberalen Demokratie übernommen. Beim G 8 – Gipfel 2018 ist zu sehen, wie die  Kanzlerin auf Trump einredet, der wie auf einer Schulbank sitzt.

    In der internationalen Politik steht Merkel für die Suche nach Kompromissen, während die USA  Freund und Feind mit Alleingängen irritieren. Aber in der Weltpolitik des 21.Jahrhunderts klingt der Wunsch nach Kooperation der Mächte hohl.  Dem Chaos beim amerikanischen Abzug aus Afghanistan konnten die Europäer nichts entgegen setzen. Gegen China baut Washington eine  anglosächsische Achse mit Australien und  Großbritannien, der Europa brüskiert.  Am Ende von Merkels Amtszeit stößt Weltpolitik über  Kompromisse an ihre Grenzen.

  Gegenüber Russland hat Merkel eine Linie verfolgt, die durch Willy Brandts Ostpolitik und die  Freundschaft zwischen Kohl und Gorbatschow vorgezeichnet war. Ungeachtet der Verankerung im westlichen Bündnis pflegt  Merkel ein spezielles Verhältnis zu Putin.  Die Annexion der Krim  und die kriegerische Aneignung der Ostukraine  haben die Beziehung fast zerstört. Berlin hat  harte Sanktionen der EU gegen Russland durchgesetzt, auch gegen den Widerstand Österreichs und anderer Putin-Versteher. Im Kreml hat man trotzdem Verständnis für die deutsche Haltung.  Die persönliche Kommunikationsebene zwischen der Kanzlerin, die in der DDR aufgewachsen ist und russisch spricht, und  Putin, dem ehemaligen  KGB-Offizier im Einsatzgebiet Ostdeutschland, mag dabei ihre Rolle spielen.  Der  Balanceakt kann bei jedem weiteren russischen Vorstoß  aus dem Gleichgewicht geraten.

  Angela Merkel hat in ihrer  CDU beinharte Machtpolitik betrieben. Ihren einstigen Ziehvater Helmut Kohl entmachtete sie, als Kohls illegale  CDU-Spendendeals aufflogen.  Die deutsche Innenpolitik staunte über die Selbstverständlichkeit, mit der die Politikerin ostdeutscher Provenienz den westdeutschen Machern Paroli bot. Eine offene Agenda als Frauenpolitikerin hat Merkel nie vertreten. Erst in den letzten Jahren lässt sie sich als Feministin bezeichnen. Die Öffentlichkeit hatte die Kanzlerin in ihren Auseinandersetzungen mit den Machos aus den eigenen Reihen hinter sich.

  Merkels Kurs begleitet  einen Modernisierungsschub der deutschen Gesellschaft. Die CDU ist mit ihr als Chefin verstärkt in die Mitte gerückt und damit nach links. Sozialdemokratisierung ist das keine. Die großen Wirtschaftsverbände stellen die mächtigste Lobby in der Partei. Aber die Merkel-CDU unterscheidet sich von den Parteifreunden in anderen Ländern. Die Christdemokraten in Frankreich, Spanien oder  Italien sind von Rechtsextremen kaum zu unterscheiden. In den USA verkommen die Republikaner zu Trump-Anbetern. Die türkise ÖVP unter Sebastian Kurz lebt von Islambashing und rechtem Populismus. Den rechtspopulistischen Versuchungen, denen bürgerliche Parteien weltweit erliegen, hat die CDU unter Merkels Führung widerstanden.

 Gegen den  grassierenden autoritären Nationalismus verteidigt Angela Merkel die Werte der liberalen Demokratie. In der Flüchtlingskrise 2015 ließ sie bekanntlich die deutschen Grenzen offen, aus Rücksicht auf Österreich, Ungarn und andere überforderte Staaten. Ihr  berühmtes „Wir schaffen das“ war der Kontrast  zu Hardlinern in Europa.

  Der deutsche Wahlkampf beeindruckt durch Sachlichkeit und Langeweile, urteilen fast neidisch amerikanische Medien. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet lehnt jede Zusammenarbeit mit  Rechtsextremen ab, ungeachtet der Stärke der AfD im Osten. Der Kontrast zu Österreich sticht in die Augen. Ganz absetzen von der deutschen Bruderpartei  kann sich Sebastian Kurz allerdings nicht. Einen ideologischen Trennungsschritt,  wie in Ungarns Viktor Orban mit dem Austritt aus der Europäischen Volkspartei vollzogen hat,  wird die ÖVP nicht setzen. Merkels Devise aus der Flüchtlingskrise verteidigt jetzt auch ÖVP-Altmeister Wolfgang Schüssel: „Hätte sie sagen sollen, wir schaffen das nicht?“.

   Die populistische Renationalisierung in der EU rund um die Flüchtlingspolitik hat Merkel nicht verhindert. Aber sie hat am pragmatischen Humanismus der liberalen Demokratien  festgehalten. Die Tradition wird Europa auch brauchen, wenn in Berlin ein neuer Kanzler einzieht.  

 ZUSATZINFOS

Angela Merkel ist seit 2005 deutsche Bundeskanzlerin. Sie hat mit den US-Präsidenten Bush, Obama, Trump und Biden zusammen gearbeitet. In Frankreich wechselten einander Chirac, Sarkozy, Hollande und Macron ab. Sollten sich Koalitionsverhandlungen nach den Bundestagswahlen in die Länge ziehen könnte sie auch 2022 noch im Amt sein.

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