Katmandu, verstörte Stadt, MiJ, 29.4.2015

Wittmann Wolfgang (ORF)

In Nepal, in der Hauptstadt Kathmandu ist für die Ö1-Journale unser
Peking-Korrespondent Raimund Löw, recht abenteuerlich angereist im Gefolge
chinesischer Helfer. Nach einer Nacht auf dem Fußboden einer Hotellobby ist
er in den vergangenen Stunden zu Erkundungen unterwegs gewesen und hat sich
kurz vor der Sendung telefonisch gemeldet. Ob er chaotische Szenen gesehen,
Plünderungen, Mangel an Wasser und Nahrungsmitteln habe ich ihn gefragt und
ob endlich Hilfe ankommt in wirksamem Umfang.

Löw Raimund (ORF)
Plünderungen selbst habe ich nicht gesehen, ich habe davon gehört. Welches
Ausmaß diese Zwischenfälle gehabt haben, kann ich nicht beurteilen. Was
auffällt in Kathmandu, es gibt relativ viel Polizei. Das Gefühl, dass die
Hilfe ankommt, ist gemischt. Auf der einen Seite gibt es eine sehr, sehr
große internationale Mobilisierung, um etwas zu tun und aus allen Ländern
sind Hilfstrupps da mit Hunden, auch mit der Fähigkeit, sich selbst zu
organisieren, die auch bereit sind, außerhalb von Kathmandu in die
Gegenden, die nicht leicht zu erreichen sind, zu gehen. Aber natürlich: es
gibt viele Dörfer, viele Täler, in denen nach wie vor niemand ist und wo es
heißt: die warten auch noch immer auf Lieferungen – sei es von Wasser oder
Medikamenten. Die Regierung sagt, dass Hubschrauber Wasser abwerfen,
Medikamente abwerfen, aber in einer so chaotischen Situation, in einem so
armen und desorganisierten Land wie Nepal ist es fast unvermeidlich, dass
am fünften Tag nach einem solchen Erdbeben noch sehr, sehr viel schlecht
ausschaut.
Wittmann Wolfgang (ORF)
Wenn man Unruhen, ersten Plünderungen, Massenflucht hört, stellt sich die
Frage nach der Sicherheitslage. Wie ist denn die im Bebengebiet?

Löw Raimund (ORF)

Mein Eindruck ist, die Sicherheitslage ist nicht schlecht. Ich bin auch
nicht ganz sicher, ob der Begriff Massenflucht gerechtfertigt ist. Was
passiert ist, dass viele in Kathmandu Angehörige haben, die am Land sind
und jetzt zu den Angehörigen gehen, um zu schauen wie es denen geht oder
auch zu helfen, um Lebensmittel zu bringen, um auch zu helfen vielleicht in
Fällen wo es noch Verschüttete gibt und das ist eine große Bewegung, das
stimmt. Da sieht man viele Lastwägen voll mit Menschen, die herausfahren.
Aber Massenflucht, das ist, da denkt man ein bisschen an Syrien und das ist
es nicht. Es ist, Kathmandu als Stadt nicht zerstört. Kathmandu ist eine
Stadt mit vielen Zerstörungen, aber ist als Stadt nicht zerstört. Es gibt
viele Häuserreihen, die stehen, es gibt Geschäfte, die auch langsam wieder
aufmachen und es ist auch völlig; am fünften Tag nach dem Erdbeben ist es
der zweite Tag, wo es keine Nachbeben gegeben hat und das hat doch zu einer
deutlichen Entspannung geführt. Die Hilfsorganisationen sagen, das merkt
man auch in den Lagern, in den Zeltlagern, dass jetzt dort weniger Menschen
sind als noch vor zwei Tagen.
Wittmann Wolfgang (ORF)
Und wie ist die Situation in den Spitälern? Es gibt ja tausende Verletzte, dafür ist das nepalesische Gesundheitssystem wohl nicht aufgestellt – sogar
unter freiem Himmel wurde operiert, haben wir gehört. Wie schaut es jetzt
aus?

Löw Raimund (ORF)

Man sagt uns in den ersten drei Tagen waren die Spitäler völlig überfüllt
und völlig überfordert. Auch <unverständlich> eine gewisse Entspannung. Wir
haben heute Vormittag eine große Kaserne, ein Kasernengebiet besucht, wo
die nepalesischen Streitkräfte gemeinsam mit Unterstützung von
internationalen Organisationen Ärzteteams aufgestellt haben. Da hat es
lange Schlangen gegeben. Es sind Menschen, die kleinere oder größere
Verletzungen gehabt haben, aber das hat sich alles in einem geordneten
Rahmen abgespielt. Die internationalen Helfer hier vergleichen manchmal mit
Haiti vor ein paar Jahren und sagen, dass die Katastrophe hier um vieles
weniger schlimm ist, als es in Haiti gewesen ist, wo wirklich ganze Städte
einfach verschwunden sind und wo es überhaupt nichts gegeben hat. Hier gibt
es eine gewisse Infrastruktur doch noch, die ist erhalten geblieben und die
Hoffnung ist, dass die jetzt wieder aufgebaut werden kann, dass die jetzt
wieder gestärkt werden kann.

Wittmann Wolfgang (ORF)
Österreich kommt erst langsam in die Gänge mit seiner Nepal-Hilfe. Zunächst
sind nur einige wenige Expertinnen und Experten am Werk, aber mehr wird
kommen auch von einer speziellen Nachbar-in-Not-Aktion des ORF und seiner
Partnerhelfer und das Bundesheer prüft die Entsendung seiner
Wasseraufbereitungsspezialisten. Können Sie, Raimund Löw in Nepal
abschätzen, wie Österreich am besten helfen kann?

Löw Raimund (ORF)
Die Helfer hier sagen, die mittelfristig – das heißt, in den nächsten
Monaten – sind einmal finanzielle Mittel nötig, damit die Häuser wieder
repariert werden können und sicher gemacht werden können. Also es sind
Mittel nötig, um die Häuser stabiler zu machen. Zum Wiederaufbau:
Österreich hat eine große Rolle gespielt, die Kulturgüter in Nepal zu
restaurieren. Die alten Königsstädte sind mit österreichischer
Unterstützung aufgebaut worden und die sind zu einem Großteil zerstört
worden. Bhaktapur, ein Juwel der, der Kultur ist weitgehend zerstört und
das ist ein Punkt, da könnte Österreich sich sicherlich engagieren, das
wäre ein großer Beitrag, damit Nepal wieder seine Seele – wenn man so will
– zurückfinden kann, denn das sind die Kulturgüter, mit denen sich die
Menschen identifizieren, die sind zusammengebrochen und die müssten wieder
restauriert werden. Das wird viel Geld kosten, das wird Know-how kosten,
aber Österreich hat dieses Know-how, das hat man gesehen, wie die
Königsstädte mit österreichischer Unterstützung aufgebaut und restauriert
wurden.
</unverständlich>
Wittmann Wolfgang (ORF)
Aber zunächst geht es noch ums einfache, nackte Überleben für viele
Menschen. Raimund Löw, unser Berichterstatter in Kathmandu in Nepal, vielen
Dank!

Löw Raimund (ORF)
Ich bedanke mich!