Joe Biden: vom Langweiler zum Revolutionär

  Im Disput mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gab sich der amerikanische Präsident Joe Biden kämpferisch.  Ob er, Biden, Putin für einen Killer hält, wurde der amerikanische Präsident vom Moderator des TV-Senders ABC gefragt? I do, lautete die knappe und undiplomatische Antwort des Präsidenten. Dank des Erfolgs des russischen Impfstoffes Sputnik V lässt Putin gerade Charmeoffensive in Richtung Europa laufen. Einen öffentlichen Streit mit den USA über die Mordanschläge russischer Geheimdienstleute gegen Oppositionelle im In- und Ausland kann Moskau zur Zeit nicht brauchen.  Ganz in der Tradition früherer US-Regierungen  macht Washington das Engagement für die Menschenrechte zum Instrument der  Außenpolitik. Biden’s Außenpolitik knüpft  nahtlos an Vorvorgänger  Obama an.

  Was Verbündete und Gegenspieler an Biden  überrascht, ist der innenpolitische Drive der ersten zwei Monate. Im Rahmen der Wirtschaftsförderung gegen die Folgen der Pandemie bringt die Administration tiefgreifenden Sozialreformen auf den Weg. Die Regierung schickt zur Wirtschaftsbelebung nicht nur Schecks über tausende Dollar an die meisten amerikanischen Familien, sie führt bundesweit Kinderbeihilfen ein. Der Kampf gegen die Kinderarmut ist das große Ziel. Bis zu 300 Dollar gibt es pro Monat für Kleinkinder, bis zu 250 Dollar sind es für Größere. Für Europäer ist Kindergeld normal. In den USA sind diese Maßnahmen revolutionär. Dazu kommt die Förderung von öffentlichen Kindergärten und Colleges.    

 Biden stellt sich in die Tradition des Kriegs gegen die Armut unter Lyndon B.Johnsons vor 55 Jahren. Der Texaner Johnson, ein mit allen Trick der US-Innenpolitik vertrauter Demokrat,  hatte nach der Ermordung John F.Kennedys staatliche Unterstützung in die Slums der Städte gepumpt. Lebensmittelmarken, die berühmten Food Stamps, und  andere Programme halfen die Armut zu halbieren. Seit damals hat sich keine  Regierung mehr mit dem Elend der  Unterschichten im  reichsten Land der Welt auseinander gesetzt. Biden macht den  Kampf gegen die Armut zum Programm. Kleinverdiener bekommen direkte Zuwendungen, wenn sie zu arm sind, um Steuern zu zahlen. Auch Umverteilung ist kein Tabu. Der Präsident plant Steuererhöhungen für Reiche und Superreiche.

  Joe Biden hatte den Ruf eines langweiligen Politikers der liberalen Mitte. Als Präsident ist er dabei, zum überraschendsten politischen Revolutionär unserer Geschichte zu werden, staunt der Politikwissenschaftler E.J.Dionne in der Washington Post. Die USA setzeneinen großen Schritt in Richtung des  europäischen Sozialstaatsmodells. Zahlreiche  Reformen haben pandemiebedingt ein Ablaufdatum. Aber sie sind populär. Arme Weiße, die Trump gewählt haben, profitieren genauso wie Afroamerikaner und andere Minderheiten. Die Republikaner werden sich schwer tun sozialpolitisch  den Rückwärtsgang einzuschalten.

  Auf das bereits vom Kongress beschlossene 1,900 Milliarden US-Dollar  Corona-Wirtschaftspaket soll ein Investitionsprogramm in die Infrastruktur Amerikas von 3 000 Milliarden folgen. Über die desolaten Straßen, Brücken, Stromleitungen und Internetverbindungen wird in den USA seit langem diskutiert. Unter dem Vorzeichen der Wirtschaftsförderung in der Pandemie soll der Bundesstaat den Anstoß zur Reparatur geben. Die Biden-Administration verschiebt die  Orientierung des linksliberalen Amerikas.

  Als Bill Clinton mit seinem Wahlsieg 1992  Jahrzehnte der republikanischen Vorherrschaft beendete, schien das von Ronald Reagan und Margarete Thatcher vertretene Dogma vom schlanken Staat unangreifbar. Clinton präsentierte sich  als wirtschaftsfreundlicher New Democrat. Von staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft wollte er nichts wissen. Seine Wellfare Reform führte zur Streichung von Food Stamps und anderen Sozialleistungen. Beflügelt von  Clintons New Democrats brachten Tony Blair in Großbritannien und Gerhard Schröder in Deutschland ihre sozialdemokratischen Parteien auf einen mit dem Zeitgeist kompatiblen Kurs. Der sozialpolitische Aufbruch unter Joe Biden zieht einen  Schlussstrich unter die neoliberalen Verrenkungen der Linken.

  Lyndon B.Johnson hatte Amerika im Kalten Krieg  trotz seines  sozialpolitisches Engagements in die Katastophe des Vietnamkrieges geführt. Joe Biden  galt unter  Obama als Bremser bei riskanten außenpolitischen Manövern.   Die instinktive Vorsicht  sollte er sich als Präsident bewahren. Ein Amerika, das  es schafft sozialer, demokratischer und gerechter zu werden, wäre ein Erfolg auch für die Weltpolitik der Supermacht.

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