Die Massenvergewaltigung einer Medizinstudentin vor drei Jahren in Delhi hat gewaltsame Übergriffe gegen Frauen in Indien in die internationalen Schlagzeilen gebracht. Die Gesetze wurden verschärft und in den indischen Städten hat die Polizei Notrufnummern für Frauen eingerichtet. Immer mehr Gewaltopfer gehen jetzt, anders als früher, auch zur Polizei. Oft mit aktiver Unterstützung indischer Frauenorganisationen. Erstmals wehren sich auch die Opfer von Säureattentaten, die in Indien jedes Jahr mehrere hundert Frauen treffen.
Säureattacken gegen junge Frauen sind in Indien lange Zeit nicht ernst genommen worden, wie in anderen Ländern auch. Die Täter schütten den Opfern ätzende Substanzen ins Gesicht, zumeist um sich für einen zurückgewiesenen Annäherungsversuch zu rächen.
Die Aktivistinnen der Organisation Stop Acid Attacks, Stoppt Säureattacken, waren selbst solchen Angriffen ausgesetzt.
Ich bin die erste Frau, die ihr Gesicht nach einem Säureangriff wieder in aller Öffentlichkeit zeigt. Ich schäme mich nicht, sagt Laxmi Agarwal, die Sprecherin der Frauen NGO. Wie andere Mädchen in der gleichen Situation das gesehen haben, haben sie gesagt, das können wir auch.
Wir treffen Laxmi im Büro der Aktivistinnen von Stop Acid Attacks in einem belebten Außenbezirk von New Delhi. An den Wänden des kargen Büroraums sind Fotos von Frauen zu sehen, die durch die Säure der Angreifer schlimm entstellt wurden. Mehrere hundert Angriffe werden in Indien jedes Jahr registriert.
Laxmi ist 25 Jahre, sie zeigt uns stolz Fotos ihres eineinhalbjährigen Sohnes. Nach einem Säureüberfall vor 10 Jahren musste sie ein Dutzend Operationen über sich ergehen lassen. Noch immer kann sie das linke Auge nicht schließen. Narben überziehen das Gesicht und den Oberkörper. Aber ihre Lebensfreude lässt sie sich nicht nehmen. Laxmi geht ins Fernsehen und ist sogar bei einer Modeshow aufgetreten.
2005 war ich 15 Jahre alt, erzählt die junge Frau. Der Bruder meiner Freundin hat mir einen Heiratsantrag gemacht, aber er war 32 und ich habe das Angebot abgelehnt. An einem belebten Markt hat er mich erwischt und mir mit einer Komplizin ein Glas Säure ins Gesicht geschüttet, erzählt die heute 25 jährige Laxmi.
Geholfen hat mir lange niemand, sagt Laxmi. Bis ein Passant mir Wasser aus einer Zweiliterflasche ins Gesicht geschüttet hat. Wie ich in der Rettung die Augen aufgemacht habe, da konnte ich sehen, wie die Haut von meiner Hand richtiggehend weggeschmolzen ist, so Säureopfer Laxmi.
Vielen Opfern von Säureattacken fällt es schwer zu einem normalen Leben zurück zu finden. Die Frauenorganisation betreibt ein Kaffeehaus in der Nähe des Taj Mahals, der größten Touristenattraktion Indiens, um Jobs für die Überlebenden zu schaffen.
Vor zwei Jahren ist Laxmi mit Mitstreiterinnen medienwirksam in den Hungerstreik getreten.
Die Gesetze wurden danach verschärft. Beim Einkauf von Säuren muss man sich jetzt ausweisen und einen konkreten Grund angeben. Die Regierung wurde vom Indischen Höchstgericht angewiesen, die verletzten Frauen medizinisch zu versorgen und Entschädigungen zu zahlen. Aber in der Praxis werden viele Vorschriften übergangen.
Früher haben sich die Opfer nach Säureauttacken völlig zurückgezogen, sie sind zu Hause geblieben und haben geweint, sagt Laxmi . Indem sie und ihre Mitstreiterinnen ganz gezielt ihr entstelltes Gesicht in der Öffentlichkeit zeigen, kämpfen sie für das Selbstbewusstsein der Opfer. Gelingt ihr dieser Kampf, wäre das der größte Erfolg gegen die Täter.