Gefährliche Vorzeichen für die Europawahl 2024, Falter Maily 3.8.2024

Die EU als großes Orbánland, das ist das Ziel einer Allianz zwischen EVP und den Rechtsrechten um Giorgia Meloni. Wo steht Österreich?

RAIMUND LÖWVERSENDET AM 03.08.2023

Keine runde Sache: Die Orbánsierung der EU (© Maximilian Greger | CC BY-SA 4.0)

Während Österreichs Politik sich an der Frage abarbeitet, was normal ist, stellen sich andere auf die Europawahlen 2024 ein. Zwischen 6. und 9. Juni 2024 wird das nächste Europaparlament gewählt. Die rechtsextremen Parteien befinden sich in EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien im Aufwind. Nirgendwo sonst zeichnet sich ein Rückgang ab wie in Spanien, wo die Rechtsradikalen von Vox ein Debakel erlebten und 19 von 52 Mandate verloren haben.about:blankANZEIGE

Die Europäische Volkspartei ist die größte Fraktion im Europaparlament, gefolgt von Sozialdemokraten und Liberalen. Manfred Weber, der aus Bayern kommende Chef der Volkspartei, strebt für die Zeit nach den Wahlen neue Allianzen an. Die bisherige große Koalition von Christdemokraten und Sozialdemokraten soll nach seinen Vorstellungen durch ein Bündnis mit Vertretern der Rechten ersetzt werden. Der EVP-Chef umwirbt die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia. Unterstützt wird er vom Antonio Tajani, der als Nachfolger von Berlusconi für Forza Italia als Melonis Außenminister agiert.

Seit Giorgia Meloni Regierungschefin ist, hat die postfaschistische Politikerin einen Kurswechsel gegenüber der Europäischen Union vollzogen. Meloni will die EU nicht mehr zerschlagen, sondern mit Gleichgesinnten die Macht in Brüssel übernehmen (einen hörenswerten Podcast der New York Times zu Melonis Einfluss auf Europas Rechte finden Sie hier). Die Europäische Union soll nach ihren Vorstellungen eine Art Orbánland im Großen werden, mit ethnischer Dominanz von christlichen Weißen und ohne störende Rechtsstaatsverfahren gegen autoritäre Nationalstaaten. Es ist ein attraktives Modell für Victor Orban. Franz Kössler beschreibt die Dynamik im aktuellen FALTER.

Die Vorbereitungen für die große Schlacht um die Zukunft der EU sind angelaufen. Orbáns Regierungspartei Fidesz wird die bisherige Justizministerin Judit Varga als Spitzenkandidatin für die Europawahlen ins Rennen schicken. Eine Schlüsselfunktion in den Planspielen für Brüssel und Straßburg wird der deutschen AfD zukommen. Die deutschen Rechtsextremen befinden sich in einem Umfragehoch. Aber ob jetzt die direkte Zerstörung der EU das Ziel ist oder ob der Umweg einer rechtsrechten Machtergreifung in Brüssel gegangen werden soll, wie die Italienerin Meloni das wünscht, ist offen. Bei einem Parteitag in Magdeburg hat die AfD einen Vertreter des radikalen Flügels namens Maximilian Krah zum Spitzenkandidaten erkoren. „Die EU muss sterben“, verordnet AfD-Einpeitscher Björn Höcke.

In Deutschland stellt sich auch die Linke auf den Europawahlkampf ein. Die Parteiführung der Linken hat Carola Rakete als Spitzenkandidatin aufgestellt, die ehemalige Kapitänin des Rettungsschiffes Sea Watch 3. 2019 hat Carola Rakete trotz Verbots des damaligen Innenministers Matteo Salvinis den Hafen von Lampedusa angelaufen. Sie wurde festgenommen und musste vor Gericht. Von den Verteidigern der Seenotrettung wurde sie als Heldin gefeiert. Die Parteiführung der Linken möchte mit ihrer Nominierung der Kandidatur einer neuen Liste unter Sarah Wagenknecht vorbeugen.

Und Österreich? 

Die Grünen können nur hoffen, nicht allzu viel gegenüber den 14 Prozent zu verlieren, die Werner Kogler 2019 erreicht hat. Die SPÖ muss die unsäglichen früheren Anti-EU-Sager ihres neuen Vorsitzenden Andreas Babler begraben. Bei Armin Wolf in der ZiB 2 hatte Delegationsleiter Andreas Schieder seine liebe Mühe mit der EU-Position seines Parteichefs. Im November entscheidet ein SPÖ-Parteitag, ob Schieder oder Europaabgeordnete Evelyn Regner Spitzenkandidat:in wird.

Interessant ist die Situation der ÖVP. Der Spitzenkandidat von 2019, Othmar Karas, hat sich von seiner Partei entfremdet. ÖVP-Delegationsleiterin Angela Winzig, die ihn formal ersetzt, ist so unbekannt wie unbedarft, wie sie gestern in der ZiB 2 drastisch unter Beweis stellte. Es gibt kaum mehr eine europapolitische Frage, in der Langzeit-Europapolitiker Karas mit seiner Partei übereinstimmt.

Das ÖVP-Nein zum Schengenbeitritt von Rumänien und Bulgarien lehnt Karas ab. Im aktuellen FALTER-Podcast nimmt er sich kein Blatt vor den Mund. Offen kritisiert er den Versuch der EVP, das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zu kippen. Was Karas tun will, ob er nach 25 Jahren im EU-Parlament weitermacht, unter welchen politischen Vorzeichen oder ob er aufhört, bleibt offen. Christdemokraten, die sich von Sebastian Kurz abgestoßen fühlen und Nehammer nicht folgen können, setzen unverdrossen auf den gestandenen Europapolitiker Karas, beobachtet

Ihr Raimund Löw


PODCAST

Als Brüssel-Korrespondent des ORF und dann im FALTER Radio habe ich Othmar Karas seit Jahren journalistisch begleitet. Noch nie hat sich der ÖVP-Europapolitiker so deutlich von den Positionen seiner Partei distanziert wie im aktuellen FALTER-Sommergespräch. Wir sprechen über den Widerstand Europas gegen den rechtsextremen Ansturm, die Klimapolitik und die Tragödie der Boat People im Mittelmeer. Als Eva Konzett im Vorgespräch Karas fragt, ob er, wäre er wieder jung, in die ÖVP von heute eintreten würde, gibt es herzliche Lacher im Publikum. Karas denkt nach und bejaht, schließlich sei er Christdemokrat. Die Differenzen zur Europapolitik seiner Partei spielt er jedoch nicht herunter. Hören Sie sich das an!


AUS DER WELT

Heute um 4 Uhr nachmittags Ortszeit, 22 Uhr unserer Zeit, steht Donald Trump  in Washington DC vor Gericht. Wegen Verschwörung, um die Wahl Joe Bidens 20/21 zunichte zu machen, die schließlich zum Umsturzversuch am 6.Jänner 2021 geführt hat. Es ist der dritte, aber zweifelsohne wichtigste Prozess gegen den Ex-Präsidenten. Die vier Anklagepunkte erklärt und bewertet bekommen Sie in „The Daily“ dem Podcast der New York Times.

Gerichtsbeauftragte im Verfahren in Washington DC ist Magistrate Judge Moxila A. Upadhyaya. Richterin im Prozess ist U.S. District Judge Tanya S. Chutkan, die bereits harte Urteile gegen Gewalttäter des 6. Jänner 2021 ausgesprochen hat. Beide Richterinnen sind US-Staatsbürgerinnen, versichern Experten im US-Fernsehen. Richterin Chutkan kommt ursprünglich aus Jamaica, Magistrate Judge Upadhyaya ist in Indien geboren.

Dass Trump trotz der spektakulären Prozesse unverändert gute Chancen hat, die Wahlen 2024 zu gewinnen, hat Barack Obama dem Amtsinhaber Joe Biden kürzlich bei einem privaten Essen im Weißen Haus auseinandergesetzt, warnt die Washington Post. Ein wichtiger Grund: Das republikanische Wahlvolk steht unverbrüchlich hinter Trump, während die Meinungen im linksliberalen Lager geteilt sind. 

Eine nicht unterschätzende Gefahr für Biden wäre die Kandidatur des bekannten afroamerikanischen Philosophen und Aktivisten Cornel West als grüner Präsidentschaftskandidat. Im Jahr 2000 hatte ein grüner Kandidat in mehreren US-Bundesstaaten Al Gore so viele Stimmen weggenommen, dass George W. Bush nach vorne kam.


NORMAL ODER NICHT NORMAL SEIN

Konservative Politiker fordern die Rückkehr zur Normalität. Wie gefährlich ist der Begriff in der politischen Arena? Lesen Sie dazu Matthias Dusinis ausgezeichneten Essay aus dem aktuellen FALTER.


NEU AUF FALTER․AT

Nina Horaczek hat die „Bildungs Challenge Favoriten“ besucht; ein Projekt, das mit wenig Geld, aber viel Kreativität daran arbeitet, die hohe Schulabbrecherquote im zehnten Wiener Gemeindebezirk zu senken. Mehr zur bildungspolitischen Do-it-yourself-Revolution können Sie jetzt auf falter.at lesen.


KINDER, KINDER!

Wenn die lieben Kinder Sommerferien haben, kommen in Sachen Betreuung gerne auch mal Großeltern, Onkel, Tanten – und wer sonst nicht bei drei am Baum ist – zum Handkuss. Wenn Sie planlos sind, wie sie den Ihnen Anvertrauten eine gute Zeit bieten können, schauen Sie doch mal die Ausflugstipps im neuen FALTER-Eltern-Newsletter durch. Hier können Sie das Schriftwerk auch kostenlos abonnieren, der Newsletter erscheint jeden Mittwoch neu!

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