Friedensnobelpreis an die EU, ZiB 1 & ZiB 13


Zimmermann Marie-Claire (ORF)
Und wir schalten zu Raimund Löw nach Oslo. Seit Bekanntgabe, Mitte Oktober,
dass die EU diesen Preis bekommen wird, hat es kritische Stimmen gegeben.
Wie hat man da heute darauf reagiert?

Löw Raimund (ORF)
Es war eine Feierstunde hier in Oslo, aber es hat auch sehr viel
Realitätssinn gegeben, und die immensen wirtschaftlichen Schwierigkeiten,
in denen Europa steckt, die zu so vielen Protesten geführt haben, die sind
eigentlich von allen angesprochen worden. Das Nobelpreiskomitee hat ja
sogar gesagt: Das ist ein Motiv für uns, darauf hinzuweisen, dass der Sinn
der europäischen Integration nicht ist, wie man die Schulden aufreißt, äh,
aufteilt, der Verdienst der Europäischen Union, so die Meinung des
Vorsitzenden, ist, dass die Europäer ihre Streitereien, ihre
Streitigkeiten, nicht mehr am Schlachtfeld ausfechten, sondern am
Verhandlungstisch. Das ist zwar mühsam, das ist manchmal sogar langweilig,
aber es ist ein historischer Verdienst gegenüber früheren Situationen. Das
hilft vielleicht nicht den Südstaaten in Europa, die in wirtschaftlichen
Schwierigkeiten stecken, aber das Nobelpreiskomitee warnt davor, diese
wirtschaftlichen Schwierigkeiten zum Anlass zu nehmen, zum Nationalismus
früherer Zeiten zurückzukehren.

Zimmermann Marie-Claire (ORF)
Es sind aber nicht alle Staats- und Regierungschefs heute zur Verleihung
gekommen. Wie ist denn das zu bewerten?

Löw Raimund (ORF)
Der Friedensnobelpreis ist umstritten. Einige Regierungschefs, der britische
Premierminister, der tschechische Präsident, sind EU-Skeptiker, andere
waren wirklich verhindert, aber es ist die größte internationale
Versammlung von Staats- und Regierungschefs, die es je in Norwegen gegeben
hat. Norwegen ist ja kein EU-Land, und da haben sich dann doch die meisten
Regierungschefs dazu durchgerungen zu sagen: Eine solche Ehrung von außen
ist für uns Anlass zu demonstrieren, dass die europäische Idee noch immer
sehr lebendig ist.

ZiB 13 Uhr
Wie die Entscheidung bekannt wurde,
dass die EU diesen Friedensnobelpreis bekommt, da wollte eigentlich niemand
so recht von der EU hingehen und sich diesen Preis auch abholen. Jetzt ist
doch eine große Delegation gekommen, warum eigentlich?

Löw Raimund (ORF)
Es ist interessant, am Anfang haben die Europäer nicht gewusst, wie ernst
sollen sie diese Zeremonie hier in Oslo nehmen, die ja ein bisschen Patina
angelegt hat und so gar nicht zum harten Tagesgeschäft passt, aber dann hat
Angela Merkel gesagt, klar, sie fährt nach Oslo, Frankreich hat sich
angeschlossen und jetzt ist das die größte Versammlung, internationale
Versammlung von Staats- und Regierungschefs, die es je in der norwegischen
Geschichte gegeben hat. Zuhause geblieben sind wirklich nur die
EU-Skeptiker, wie der britische Premierminister oder der tschechische
Präsident oder Regierungschefs, die wirklich etwas anderes zu tun haben.
Dahinter steckt vielleicht die Erkenntnis, dass gerade in wirtschaftlich
schwierigen Zeiten bei so vielen kritischen Stimmen es wichtig ist für die
Europäer, sich ans Wesentliche zu erinnern, nicht nur, was es bedeutet,
dass zwischen Deutschland und Frankreich heute Krieg unmöglich ist, wie das
Nobelpreiskomitee das gesagt hat, sondern auch, dass in Osteuropa
Demokratien – stabile Demokratien gibt nach dem Zusammenbruch des
Kommunismus und der Osterweiterung der Europäischen Union und das ist eine
Stimme von außen, das norwegische Nobelpreiskomitee, das die Europäer daran
erinnert, was es bedeutet, dass Streitigkeiten nicht mehr am Schlachtfeld
ausgetragen werden, sondern am Verhandlungstisch.