Flüchtlingskatastrophe in Idlip, Syrien – politische Hintergründe

Schockierende Nachrichten kommen wieder einmal aus Syrien. Kämpfe zwischen Rebellen und syrische Regierungstruppen in der nordwestlichen Provinz Idlib haben nach Informationen der Vereinten Nationen 800 000 Zivilisten in die Flucht getrieben. Die Großmächte Russland und Türkei stehen einander in dieser Krise frontal entgegen. Menschenrechtsorganisationen warnen vor einer humanitären Katastrophe riesigen Ausmaßes.
Was hat denn zu dieser Konfrontation in der Provinz Idlib geführt, eigentlich ist man inzwischen doch davon ausgegangen, dass das Regime von Baschar al Assad den Bürgerkrieg gewonnen hat?
Idlib liegt im Nordwesten Syriens, nicht weit von der Grenze zur Türkei. Früher ist man dort mit Bussen durchgefahren, wenn man von der Türkei nach Damaskus unterwegs war.
Klar, in ganz Syrien setzt sich das Assadregime immer mehr durch. Was heute in Idlib passiert, diese katastrophale Situation in der Provinz Idlip, ist paradoxerweise eine direkte Folge der Art und Weise wie das Assadregime die Kontrolle über die anderen Teile des Landes zurückgewonnen hat.
Egal wo, ob im Süden, oder auch in der unmittelbaren Umgebung von Damaskus. Es waren immer ähnliche Szenarien. Die Regierungstruppen haben Rebellen in einer ihrer Hochburgen eingekreist haben, mit Unterstützung der Iraner. Es hat Luftangriffe gegeben, mit Hilfe der Russen. Schreckliche Fassbomben gegen Schulen und Spitäler. Aber die Rebellengebiete völlig überrennen, das konnten oder wollten die Regierungstruppen nicht. Man hat begonnen zu verhandeln und herausgekommen ist immer wieder: freies Geleit für die Rebellen nach Idlib. Nicht nur Kämpfer bekamen freies Geleit nach Idlib, auch hunderttausende Zivilisten, die sich vor Massakern durch die Regierungstruppen gefürchtet haben, auch sie konnten nach Idlib fliehen.
Heute sind in Idlib alle verschiedenen Rebellengruppen vertreten, oder was von ihnen übrig geblieben ist, protürkische Gruppen genauso wie Djihadisten, und die syrische Regierung will aufräumen.
Wer sind denn die Menschen, die jetzt auf der Flucht sind? Und wo wollen sie hin?
Freies Geleit nach Idlib aus den Kampfzonen von früher haben nicht nur bewaffnete Kämpfer bekommen, sondern auch hunderttausende Zivilisten, die sich vor Massakern durch die Regierungstruppen gefürchtet haben.
Die Menschen, die man in diesen Flüchtlingskonvois sieht jetzt vielleicht zum zweiten, dritten oder vierten Mal Flüchtlinge, es ist so eine Tragödie so großen Ausmaßes, mit bis zu einer Millionen Menschen auf der Flucht, das hat es in den 9 Jahren Krieg in dem Ausmaß nicht gegeben.
Sie wollen einfach weg aus den Kampfzonen, die in immer größeren Teile der Provinz Idlib reichen. Es gibt Flüchtlingslager unweit der Grenze zur Türkei, die von türkischen NGOs betrieben werden. Viele denken sicher an die Türkei, die nicht weit ist, als einen Ort, in dem man zwar nicht willkommen ist, aber doch hofft sicher zu sein. Man weiß von Menschen, die in die Kurdengebiete weiter im Osten geflohen sind.
Diese Provinz Idlib ist ungefähr eineinhalb Mal so groß, wie das Burgenland. Nicht riesig, aber schon ein Territorium mit verschiedenen Dörfern und einer Hauptstadt. Vier Millionen Menschen halten sich dort auf, die Hälfte davon sind nicht ursprünglich von dort, sondern sind schon mehrmals geflohen.
Diese Situation, dass im Nordwesten die Rebellengruppen ihre letzte Bastion haben, die gibt es ja schon seit einiger Zeit. Es gab da so etwas wie einen Waffenstillstand. Was hat denn jetzt die Situation wieder derart eskaliert? Und wie konnte es kommen, dass türkische und syrische Militärs direkt aneinander geraten sind?
Es gibt ein Dutzend türkische Militärposten in Idlib, besetzt von ein paar Tausend türkischen Soldaten. Die Türken werden von den Rebellen toleriert, die hoffen, dass sie eine Art Schutz vor den Regierungstruppen sind. Die Türken sind auch von Assad toleriert worden, ob das syrisches Territorium ist. Weil die Regierung in Damaskus gehofft hat, dass die Türken die Dschihadisten in Schach halten, also die extremistischen Milizen, die von Al Kaida her kommen.
Das Regime in Damaskus sagt, dass die Dschihadisten nicht unter Kontrolle gebracht wurden oder nicht gebracht werden konnten von den Türken, und dass daher die Regierungstreuen Truppen die Hardliner unter den Rebellen niedrringen müssen. Diese verhärtete Fronten haben dazu geführt, dass es auch schon zu direkten Zusammenstößen zwischen türkischen und syrischen Soldaten geführt haben. Eine sehr gefährliche Entwicklung.
Kann der Konflikt in Idlib zu einem offenen Krieg zwischen der Türkei und Syrien führen? Und was bedeutet die Situation für die NATO, die Türkei ist ja NATO-Mitglied?
Das ist die große Sorge. Damit droht auch der türkische Präsident Erdogan. Ein Krieg zwischen den Nachbarstaaten Türkei und Syrien nach 9 Jahren Bürgerkrieg in Syrien, das wäre auch international extrem gefährlich.
Denn hinter dem Assad Regime in Damaskus stehen Russland und Syrien. Hinter der Türkei als NATO-Mitglied stehen die USA. In Washington ist man nicht begeistert, aber in einem Telefonat hat Donald Trump dem türkischen Präsidenten seine Unterstützung zugesagt. Ob die USA und die Türkei viele Konflikte haben.
Das Ganze ist ziemlich kompliziert. Denn unter Erdogan ist die Türkei auf Distanz zum Westen gegangen und hat sich Russland angenähert. Erdogan hat russische Luftabwehrraketen gekauft. Die ganze Situation in Idlib, die es bisher gegeben hat, Waffenstillstand und Präsenz der Türken auf syrischen Boden geht auf einen Deal zwischen Erdogan und Putin zurück.
Was von diesem Deal noch übrig ist, das ist unklar. In Ankara hofft man, dass es zu gemeinsamen russisch-türkischen Patrouillen an der Grenze kommen könnte. Zur Zeit ist das offen. Es reisen dauernd Verhandlungsteams zwischen Ankara und Moskau hin und her. Für Anfang März sind Verhandlungen in Teheran angekündigt, zwischen dem Iran, Russland und der Türkei.
Wie ist die Rolle der Türkei einzuschätzen? Militärisch ist das NATO-Land ja zweifelsohne den Syrern um vieles überlegen. Nützt diese militärische Stärke dem türkischen Präsidenten?
Die Türkei ist Syrien militärisch überlegen, keine Frage. Aber Erdogan kann diese Stärke nicht ausspielen, denn auf der anderen Seite steht nicht nur Syrien, sondern auch Syriens Schutzmacht Russland. Und mit Russland will er sich nicht anlegen, das
Erdogan ist auch innenpolitisch stark unter Druck. Denn jetzt schon sind 3 Millionen Kriegsflüchtlinge aus Syrien auf türkischen Boden. Zu einem Teil werden sie durch EU-Gelder unterstützt, das ist auch gut so. Erdogan möchte diese Flüchtlinge in Nordsyrien ansiedeln. Aber was jetzt droht ist im Gegenteil eine neue riesige Flüchtlingswelle von dort.
Es ist eine militärisch und politisch eine extrem volatile Situation. Und humanitär furchtbar für die Menschen, die im Schnee irgendwo kampieren und nicht wissen, wie sie überleben sollen.

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