Die Kommission und das Europäische Parlament sind ja die klassischen
Gemeinschaftsorgane und sie ziehen oft an einem Strang. Was jetzt passieren
kann ist, dass die Kommission, die ja so etwas wie die Regierung der EU
ist, stärker vom Europäischen Parlament abhängig sein wird und weniger
stark von den Staats- und Regierungschefs. Das ist es ja auch, was viele
Staats- und Regierungschefs so sehr gestört hat: Der Machtverlust, der dann
entstehen würde, wenn der Kommissionspräsident vom Parlament abhängig ist.
Und das ist anhand der Person ganz klar erkennbar: Jean-Claude Juncker wäre
nie als Kommissionspräsident nominiert worden, wenn er nicht vorher
Spitzenkandidat des Europäischen Parlaments gewesen wäre. Wenn er nicht
Spitzenkandidat gewesen wäre, hätten die Staats- und Regierungschefs hinter
den Kulissen einen Kompromisskandidaten ausgehandelt, um einer
Mehrheitsabstimmung zu entgehen. Insofern ist diese Entscheidung schon ein
großer Schritt in Richtung einer europäischen, grenzüberschreitenden,
übernationalen Demokratie.
Wolf Armin:
Nun ist Juncker tatsächlich nominiert nach einigem Tauziehen, aber wie sieht
es denn mit den anderen Spitzenpositionen aus, sind die auch schon
ausgehandelt?
Löw Raimund:
Ganz und gar nicht, da läuft ein heftiges Tauziehen und es ist ja auch sehr,
sehr kompliziert. Es muss austariert werden das Verhältnis zwischen
Christdemokraten, Sozialdemokraten, neuen Mitgliedsstaaten, alten
Mitgliedsstaaten, Nord und Süd. Es muss auch genug Frauen geben in der
Kommission. Eine höchst komplizierte Angelegenheit. Jean-Claude Juncker ist
ja Christdemokrat. Das heißt, es sind jetzt die Sozialdemokraten für die
nächste Position am Zug und die Sozialdemokraten haben sich entschieden:
Für sie ist die Repräsentantin der Außenpolitik, die Chefdiplomatin, der
Job, den sie anstreben. Bei den Sozialdemokraten hat Italien, der
italienische Regierungschef Matteo Renzi zurzeit das Sagen und er möchte
seine, die italienische Außenministerin Federica Mogherini als
Außenpolitik-Chefin der EU haben. Problem dabei: Sie ist nicht wahnsinnig
erfahren. Der nächste Posten ist der Posten des Ratspräsidenten, den jetzt
Herman Van Rompuy ausfüllt. Da wissen wir, dass Angela Merkel gesagt hat,
sie möchte auf keinen Fall, dass sich da wiederholt, was es rund um den
Kommissionspräsidenten gegeben hat. Es muss eine Konsensentscheidung sein
und da taucht immer wieder der Name der dänischen Ministerpräsidentin,
Helle Thorning-Schmidt, auf. Die ist zwar Sozialdemokratin, gilt aber als
pro-britisch – mit der könnte David Cameron leben. Auch hier ein Problem:
Dänemark gehört nicht zum Euro und eigentlich sollte der Ratspräsident aus
einem Euro-Land kommen. Man sieht, noch viel Arbeit für Herman Van Rompuy,
der am sechzehnten Juli dieses Paket vorstellen soll.
Wolf Armin:
Viel Arbeit auch für Herrn Juncker, der muss ja seine Kommission
zusammenstellen. Alle 28 Länder haben einen Kommissar, die müssen nominiert
werden in Absprache mit dem Kommissionspräsidenten. Nun ist Juncker ja
formal noch gar nicht bestellt, aber in Wien haben heute Herr Faymann und
Herr Spindelegger schon gesagt, sie werden wieder Johannes Hahn als
Kommissar nach Brüssel schicken. Ist das ungewöhnlich?
Löw Raimund:
Österreich ist damit nicht allein, auch Deutschland hat sich festgelegt: Die
deutsche Regierung schickt den Energiekommissar Oettinger wieder in die
nächste Kommission. Grundsätzlich ist es ja so: Die Länder nominieren ihre
Kandidaten, aber das letzte Wort bei der Aufteilung der Ressorts, das hat
der Kommissionspräsident. Jetzt gibt es nicht wahnsinnig viele sehr, sehr
wichtige Ressorts – vielleicht fünf, sechs – aber natürlich alle 28 Staaten
möchten gerne diese fünf, sechs ganz wichtigen Ressorts haben. Das ist ein
heftiges Tauziehen. Ein Problem kann sich für Juncker daraus ergeben, dass
er sich schon festgelegt hat, er möchte einen größeren Frauenanteil in der
nächsten Europäischen Kommission. Es gibt jetzt neun Kommissarinnen unter
28 Kommissaren. Wenn die Länder, die Regierungen keine – nicht ausreichend
Frauen nominieren, dann wird Juncker ein Problem haben. Das wird ein Punkt
sein, wo man sehen wird, wie er mit diesem Problem umgehen wird, wenn es
auftauchen sollte. Aber dazu muss er erst einmal endgültig gewählt werden
vom Europäischen Parlament am sechzehnten Juli.