Vier Wochen nach Brexit dreht sich das Blatt. Während in Europa niemand wirklich weiß, wie es weitergeht, überwindet Großbritannien seine Führungskrise rascher als erwartet. Theresa May, die neue Premierministerin, hat ein Kabinett der Hardliner zusammengestellt. Einen Exit vom Brexit schließt sie aus. Langsam dämmert dem Kontinent, dass es keine Rückkehr des Vereinigten Königreiches in die bestehenden europäischen Strukturen geben wird. Margret Thatcher, mit der Teresa May gerne verglichen wird, war eine Kriegerin gegen die Gewerkschaften und gegen den Kommunismus. Die neue Regierungschefin führt ein Kampfkabinett, um für Großbritannien einen neuen Platz in der Welt zu schaffen. Ohne Rücksicht auf Verluste bei den europäischen Partnern.
Symbol des antieuropäischen Kurses ist der neue Chefdiplomat Boris Johnson. Mit zusammengebissenen Zähnen müssen die 27 Außenminister den Anti-EU-Provokateur in ihren Reihen aufnehmen, weil die Briten mindestens noch zwei Jahre Mitglieder bleiben. Die Europäische Union denunzierte Johnson als Fortsetzung der Eroberungspolitik der Nazis, weil angeblich auch Hitler den Kontinent einen wollte. Eine skandalöse Verzerrung für das Projekt, das Jahrzehnte des Friedens brachte. Dementsprechend unfreundlich fielen in Paris und Berlin die Begrüßungsworte für den neuen Kollegen aus.
Der Nazi-Vergleich Johnsons gilt als Übertreibung eines durchgeknallten Wahlkämpfers. In Wirklichkeit steckt mehr dahinter. Ein Teil der britischen Eliten sieht die Europäische Vereinigung auf dem Kontinent als Gefahr für die eigenen Interessen. Das erklärt die jahrelange Hetze des Boulevards gegen die EU. Brexit ist ein gezielter Versuch die EU zu zerstören. Im Daily Telegraph, wo der Nazi-Vergleich fiel, ist Boris Johnson glasklar: mit dem Austritt retten die Briten Europa „vor sich selbst“ und einem von Deutschland dominierten Superstaat. Das Vereinigte Königreich hat nach dieser Lesart kein Interesse an einem starken Europa auf der anderen Seite des Kanals.
Die Brexiteers präsentieren nationalistische Großmachtpolitik aus dem 19.Jahrhundert als neues Konzept. Ein unrealistisches Unterfangen. Die Kolonialmächte von einst sind Zwerge im 21.Jahrhundert, in dem die USA, China und die anderen aufsteigenden Mächte den Ton angeben werden.
Optimisten verweisen auf die Zerrissenheit der Tories. Theresa May hat die Brexit-Verhandlungen in die Hände der schärfsten EU-Gegner gelegt. Brexit-Minister David Davies und Handelsminister Liam Fox trommeln seit Jahren für den Austritt. So sollen 12 295 Gesetze und Abkommen von EU-Spurenelementen säubern. Wenn es zu keinem akzeptablen Deal kommt, könnte May durch Neuwahlen einen Befreiungsschlag versuchen. Ein minimalistischer Brexit, wie der proeuropäische Economist sich das wünscht, oder Norwegen Plus, also eine enge Bindung an die EU ohne Vollmitgliedschaft, wären möglich. Eine neuerliche Kurskorrektur der britischen Eliten wird es aber erst geben, wenn klar ist, dass sie sich mit ihrem destruktiven Kurs selbst schaden. Die Europäer müssen hart bleiben in den Austrittsverhandlungen.
Die bisherige Reaktion der EU-Regierungschefs auf Brexit, läuft darauf hinaus zu versprechen, dass alles anders wird, aber in Wirklichkeit weiterzumachen wie bisher. Es ist keine glaubwürdige Strategie. Der britische Austritt verstärkt überall auf dem Kontinent die zentrifugalen Kräfte. Die nationalkonservativen Regierungen in Polen und Ungarn wollen den Vorrang der Nationalstaaten ausweiten. Deutschland pocht darauf, an der Sparpolitik festzuhalten, die den Südstaaten schadet. Italien will zur Rettung seiner Banken wie vor der Krise Steuergelder einsetzen. Österreich hilft Ungarn den Stacheldraht gegen Flüchtlinge aus Serbien zu verteidigen.
Ein Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs in Bratislava soll die Lähmung überwinden. Das wird nur möglich sein, wenn eine neue EU auf den Weg gebracht wird, in der sich die Eurostaaten auch politisch enger zusammenschließen. Bereits planen Frankreich und Deutschland eine permanente militärische Einsatzzentrale in Brüssel, die Großbritannien bisher verhindert hat. Aber außer Versuchsballons war aus den Hauptstädten nicht viel zu hören.
Ein Umbau der EU nach innen und Hardball gegenüber London müssten Hand in Hand gehen, um die britische Anti-EU-Fraktion in die Schranken zu weisen. Ob das gelingt, ist für das Überleben der europäischen Integration genauso wichtig, wie für die Zukunft Großbritanniens.