Düstere Zeiten, Falter Maily 3.12.2023

Den Begriff Kriegswinter kennen wir in Europa aus Erzählungen von Eltern und Großeltern. Dem Nahen Osten und der Ukraine steht ein ähnlich bitteres Jahresende bevor. Russland setzt in großen Massen Drohnen und Raketen gegen zivile Ziele ein. Auf meinem Handy, auf dem noch die App für Luftalarm von einem Besuch in Kiew eingestellt ist, heißt es mehrmals täglich: „Everyone to the shelter“. In Bethlehem werden die Weihnachtsfeierlichkeiten von der Stadt abgesagt. Es gibt zu viel Verzweiflung. Das Pogrom des 7. Oktober hat eine Kettenreaktion nicht enden wollender Gewalt ausgelöst. Die New York Times hat die Toten des Gegenschlages gegen Gaza mit den zivilen Opfern früherer Krieg verglichen. Das Resultat ist verheerend. Innerhalb von fünf Wochen hat Israel in Gaza durch schwere Bomben so viele Frauen und Kinder getötet wie die USA in Afghanistan in 20 Jahren. Mehr als 15.000 Tote zählt die palästinensische Gesundheitsbehörde in Gaza. Die Hamas kann Israel immer noch mit Raketen beschießen. 1200 Israelis wurden am 7. Oktober ermordet. Die Zahlen gelten international als glaubwürdig. Der ukrainische Innenminister spricht für das gesamte Jahr 2023 von 2000 zivilen Toten russischer Angriffe, das klingt fast überschaubar angesichts der Verwüstungen in Gaza.1,7 Millionen Menschen vegetieren in Zelten im verwüsteten Gebiet im Süden Gazas, der jetzt ebenfalls unter Beschuss kommt. Der Krieg wird zu einer moralischen Katastrophe für Israel mit unklaren militärischen Erfolgsaussichten.Das Massaker, das Terroristen am 7. Oktober angerichtet haben, verdrängt in Israel die Leiden der Palästinenser. Für die palästinensische Öffentlichkeit zählen umgekehrt nur die Menschen, die in Gaza und im Westjordanland getötet werden. Hass und Unverständnis zwischen den beiden Völkern, die das gleiche Land als Heimat beanspruchen, erhöhen sich jeden Tag. In Russland zeigt eine aktuelle Umfrage des Moskauer Levada Centers Ende 2023 eine erschreckend hohe Zustimmung zu Putins Ukrainekrieg. Drei Viertel der Bevölkerung unterstützen den Krieg. In einem autoritären Staat sind solche Zahlen begrenzt relevant. Würde Putin den Sieg erklären und den Krieg beenden, wäre die Zustimmung genauso groß. Aber Russland hat einen langen Atem.Die einzigen Proteste, über die internationale Medien aus Russland berichten, kommen von Frauen, die verlangen, dass mehr Männer eingezogen werden, damit die eigenen Ehemänner die Front verlassen können. Die Demonstrantinnen geben sich superpatriotisch. Die russischen Behörden bezahlen die Familien von Eingezogenen, wenn sie sich ruhig verhalten. Ein Zeichen, dass die Stimmung umschlagen kann. Putin hat noch nicht gewonnen, könnte die Antwort auf die Frage des aktuellen „Economist“ sein. Aber sicher ist man nicht.Bei ihrem Dezembergipfel werden die Staats- und Regierungschefs der EU in zwei Wochen zu zeigen haben, dass sie Kiew auch in einer schwierigen Phase die Stange halten. Dazu gehört die Beitrittsperspektive in die Union und Nachschub für das Militär. Ungarns Viktor Orban will obstruieren. Nach dem Wahlerfolg von Geert Wilders in den Niederlanden hofft er auf Oberwasser in Europa. Allerdings nehme in Den Haag bei den Parteien der Mitte die Zweifel zu, ob sie den rechtsradikalen Provokateur, gegen den 77 Prozent des Wahlvolkes gestimmt haben, wirklich zum Regierungschef machen sollen. Vielleicht ein Anstoß für Österreichs demokratische Parteien, die wie gelähmt auf das Umfragehoch von Kickls prorussischer FPÖ blicken? Ein bescheidener Hoffnungsschimmer aus Den Haag in düsteren Zeiten.
Robert Kagan ist ein führender Intellektueller der USA. Früher galt der Politikwissenschaftler als Neocon. Jetzt schockiert Kagan die Nation mit der Vorhersage, dass Donald Trump in den USA eine Diktatur errichten wird, sollte er die Wahlen im November 2024 gewinnen. Die Vereinigten Staaten sind heute in einem Zustand wie die Weimarer Republik vor der Machtergreifung Hitlers, schreibt Kagan. Es ist eine seriöse und furchterregende Analyse.

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