Die Annullierung einer fairen und freien Wahl durch die österreichischen Höchstrichter ist einzigartig. Es gibt international kein anderes Beispiel, dass eine demokratische Präsidentenwahl aus rein formalen Gründen außer Kraft gesetzt wurde. In einer politischen Extremsituation, in der die Verhältnisse in der gesamten westlichen Welt ins Rutschen geraten, ein verheerender Vorgang.
Der Verfassungsgerichtspräsident hat die Entscheidung juristisch stringent argumentiert, so heißt es. Aber hängt die Demokratie wirklich davon ab, ob Wahlkarten am Sonntag oder am Montag ausgezählt werden?
Die Richter haben argumentiert, dass auch die Möglichkeit einer Manipulation ausgeschlossen sein muss. Nicht einmal die FPÖ behauptet, dass es eine Fälschung tatsächlich gegeben hätte. Die einzigen, die den Wählerwillen manipulieren, indem sie die Wahl annullieren, sind die Richter selbst.
Demokratische Wahlen finden glücklicherweise nicht nur in perfekt funktionierenden Staatswesen statt. Wenn Schlampereien beim Ablauf ein Annullierungsgrund wäre, gäbe es in der halben Welt keine legitimen Regierungen. Sind nur die Schweiz, Liechtenstein oder Dänemark, wo man sich totale Korrektheit vorstellen kann, Demokratien? 2000 hat der amerikanische Supreme Court in einer umstrittenen Entscheidung eine Nachzählung der Präsidentschaftswahlen in Florida gestoppt. Auslöser waren Indizien, dass falsch gezählt wurde. In Österreich gibt es solche Hinweise nicht.
Die formaljuristischen Argumente, mit denen der VfGH den am 22.Mai 2016 zum Ausdruck gekommenen Wählerwillen außer Kraft setzt, stehen in merkwürdigem Gegensatz zur politischen Sprengkraft der Entscheidung. In Europa brechen gerade die Dämme gegenüber einer nationalistischen Rechten, die ausgezogen ist, die liberale Demokratie zu zerstören.
Die Wahl Van der Bellens wurde weltweit beachtet, weil sie den Weg der FPÖ an die Staatsspitze blockierte. Diese Möglichkeit wird jetzt wieder hergestellt. Die rechtsextremen Parteifreunde Marine Le Pen und Geert Wilders jubeln. Ob zu Recht, wird sich im Herbst erweisen. Sollte der FPÖ-Kandidat Hofer im zweiten Anlauf erfolgreich sein, wird der Weg für H.C. Strache geebnet. In zukünftigen Geschichtsbüchern würde die Annullierung des Wahlsieges Van der Bellens dann wohl als historischer Unfall gewertet werden, herbeigeführt aus juristischem Purismus aber mit der objektiven Wirkung eines Coups, selbst wenn von den Richtern etwas ganz anderes intendiert war.
Weil die Kuverts in österreichischen Gemeinden von den falschen Personen aufgeschlitzt wurden, bleibt die Gefahr einer weiteren politischen Destabilisierung Europas vorläufig bestehen. Eine Unverhältnismäßigkeit, die die Höchstrichter ignoriert haben.