Die Sandinisten in Nicaragua heute, 31.8.2016

Von ehemaligen Kampfgefährten gibt es nur Spott und Hohn für Daniel Ortega. Ernesto Cardenal, der Theologe und Dichter, vergleicht ihn mit einem Diktator. Die Sandinistische Befreiungsfront sei zur Clique verkommen, mit dem einzigen Ziel, den Machterhalt und den Reichtum eines neuen Caudillo zu sichern, argumentieren Kritiker.   Seine Seele habe er verloren, durch eine prinzipienlose Bündnispolitik mit den rechten Parteien und der ultrakonservativen katholischen Kirche.

Der ehemalige linke Guerillaführer hat sich zum christlichen Fundamentalisten gewandelt. Seine Frau, Rosario Murillo ist eine religiöse Fanatikerin. Jesus, die Bibel und die Jungfrau Maria stehen im Zentrum ihrer Botschaft. Im Block mit der ultrakonservativen katholischen Kirche haben die Ortegas strenge Antiabtreibungsgesetze durchgesetzt.

Im November wird der charismatische Populist mit großer Wahrscheinlichkeit trotzdem neuerlich zum Präsidenten gewählt werden.   Ernsthafte Gegenkandidaten gibt es keine. Zur Vizepräsidentschaftskandidatin hat Ortega seine Frau gemacht. Rosario Murillo war schon bisher ein Schwergewicht im Machtkartell. Mit ihrer Nominierung gehen die Sandinisten in Richtung Familiendynastie, tobt die Opposition.

Der nikaraguanische Präsident ist schillernder Erbe der letzten erfolgreichen Guerillabewegung Lateinamerikas. 1979 stürzten die jugendlichen Kämpfer der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN das korrupte Regime des Diktators Somoza. In einer Zeit der Vorherrschaft rechter Diktatoren in Lateinamerika konnten sie beweisen, dass klassische Revolutionen möglich sind.

Die neue Führung begann eine große Alphabetisierungskampagne. Fidel Castro schickte Know How und Berater. In Europa und Amerika schossen Nikaragua-Solidaritätskomitees aus dem Boden.

Aber dann kam der Gegenschlag der USA, die in ihrem Hinterhof kein zweites Kuba dulden wollten. Ronald Reagan ließ rechte Milizionäre ausbilden und bewaffnen. Das Land verblutete im Bürgerkrieg zwischen Contras und Sandinisten. 1990 wird Ortegas Regierung abgewählt.

Dass die FSLN trotzdem wieder an die Macht kam, hängt mit dem Kurswechsel nach der Wahlniederlage zusammen. Ortega ging Allianzen mit ultrarechten Parteien, Wirtschaftsmagnaten und der Kirche ein, die zuvor undenkbar gewesen wären. Die sandinistischen Abgeordneten stimmen   Privatisierungen zu. Im Gegenzug bleibt ihr Einfluss in der Polizei und in den Streitkräften erhalten. 1994 kommt die Spaltung: Intellektuelle und   Künstler verlassen die Partei. Die europäische Linke will von diesem Zeitpunkt an mit Nikaragua nichts mehr zu tun haben.

Aber der Apparat der FSLN überlebt. Die Gewerkschaften sichern die Massenbasis. Daniel Ortega, politisch rundumerneuert durch die dick zur Schau getragene Religiosität, schafft 2006 das Comeback als Präsident. Barrios, die sandinistisch wählen, profitieren von Sozialprogrammen. Die Regierung subventioniert die Nahrungsmittel. Das Wachstum ist höher als im Rest Zentralamerikas, die Armut geht zurück. Aus Venezuela kommt Öl im Wert von insgesamt sechs Prozent des BIP. 2011 wird Ortega ein zweites Mal gewählt, mit viel mehr Stimmen als zuvor.

Ortega propagiert ein Monsterprojekt: Nikaragua soll durch einen neuen Kanal zwischen Pazifik und Atlantik das wohlhabendste Land der Region werden. Die Finanzen kommen von einer mysteriösen Gruppe chinesischer Investoren, denen die Regierung exterritoriale Rechte garantiert. Die Fahrtrinne des geplanten Kanals führt durch den Nikaraguasee. Umweltschützer sehen das Ökosystem gefährdet und die Trinkwasserversorgung bedroht. Ob das Bauwerk technisch machbar ist, bleibt unklar. Politisch zahlt sich die Vision eines Entwicklungsschubes aus. Sie vermittelt das Bild einer Langzeitstrategie, die Nikaragua bisher gefehlt ist. Gleichzeitig verstärkt sie die autoritären Tendenzen. NGOs, die gegen das Kanalprojekt opponieren, klagen über Repression.

Die bürgerlichen Parteien wollen die bevorstehenden Wahlen boykottieren, weil   Abgeordnete von sandinistischen Gerichten abgesetzt wurden und Managua ausländische Beobachter ablehnt. Die Ortegas täten gut daran, die Opposition für den Urnengang wieder an Bord zu holen. Damit zukünftige Konflikte nicht wieder auf der Straße ausgetragen werden, wie früher, sondern im Rahmen der Verfassung. Sollte das Geld aus China ausblieben und das Öl aus Venezuela versiegen, kann es rascher als erwartet zu einer Existenzkrise des Systems Ortega kommen.