Wenn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj diese Woche vor der UNO-Generalversammlung spricht und Joe Biden im Weißen Haus besucht, muss er sich Sorgen um das Durchhaltevermögen des Westens machen. Ein Kontrast zum Besuch in Washington DC vor einem Jahr, als er nach militärischen Erfolgen rund um Charkiw ein trotziges Statement des Selbstbewusstseins der Ukrainer deponieren konnte.
Diesen Sommer ist der erhoffte Durchbruch der ukrainischen Streitkräfte ausgeblieben. Die russischen Besatzer haben ihre Eroberungen mit großflächig verminten Verteidigungsstellungen abgesichert. Militärexperten erwarten einen Abnützungskrieg, der noch Jahre dauern könnte.
Je länger der Krieg dauert, desto mehr wird die Ukrainepolitik zu einem Spielball der US-Innenpolitik. Die Republikaner trommeln gegen einen wie sie sagen unbegrenzten Fluss von Waffen und Finanzen nach Kiew. Ein neues 24 Milliarden Hilfspaket ist wild umstritten. Donald Trump, dessen Chancen auf ein Comeback bei den Wahlen 2024 intakt sind, sympathisiert mit Putin.
In der amerikanischen Diskussion zur Ukraine ist unvermutet Elon Musk ins Zentrum gerückt. Der exzentrische Milliardär hat persönlich in den Abwehrkampf der Ukrainer eingegriffen. Einmal im ukrainischen, ein anderes Mal im russischen Sinn. Elon Musk sollte nicht entscheiden können, wie die Ukraine kämpft, fordert zu recht Kolumnist Eugene Robinson in der Washington Post.
Musks Einfluss ist auf die wichtige Rolle der Starlink Satelliten für die Kommunikation weltweit zurückzuführen. Starlink betreibt rund um den Globus 4500 Kommunikationssatelliten, die mit eigenen Terminals überall einen Zugang zum Internet ermöglichen, auch wenn kein terrestrisches Netz funktioniert. Starlink gehört zur Weltraumfirma Space X von Elon Musk.
Das Satellitensystem Musks hat eine überragende Bedeutung für die Kriegsführung der Ukraine. Vor allem in den Anfangsmonaten des Krieges waren die Ukrainer in der militärischen Kommunikation massiv vom exzentrischen Milliardär abhängig.
Eine neue Biografie des Journalisten Walter Isaacson beschreibt die Hektik um Starlinks zu Kriegsbeginn, weil die Russen die Router für die Internetkommunikation der Ukrainer lahmgelegt hatten. Musk trieb nach flehentlichen Appellen aus Kiew seine Techniker an, die digitalen Angriffe abzuwehren. Tausende Terminals und Batteriesysteme aus Tesla Werken, die eigentlich für Elektroautos gedacht waren, wanderten in die Ukraine.
Wenige Monate später war es umgekehrt. Im September letzten Jahres befürchtete Russland einen ukrainischen Drohnenangriff auf die Schwarzmeer Flotte in Sewastopol. Der russische Botschafter in Washington DC warnte Elon Musk persönlich, die Verwendung von Starlink für ukrainische Drohnen auf die Krim würde zu einem Dritten Weltkrieg führen. Möglicherweise war auch Putin involviert.
Musk stoppte die Aktivierung seiner Satelliten rund um die Krim. Die Ukrainer mussten damals ihren Angriff abblasen. Elon betreibt seine eigene Außenpolitik, stöhnt der Philosoph Francis Fukuyama. Ein ukrainischer Präsidentenberater macht Musk persönlich dafür verantwortlich, dass aus der Schwarzmeerflotte weiter tödliche Attacken möglich waren.
Ein Jahr später wird gemeldet, dass ein russisches Raketenabschusssystem, ein Landungsschiff und ein U-Boot auf der Krim von Marschflugkörpern und Marinedrohnen getroffen wurden. Dritter Weltkrieg ist keiner ausgebrochen, ätzt US-Journalistin Anne Appelbaum, aber die russische Einschüchterungstaktik hat bei Elon Musk funktioniert. Die Verteidiger haben inzwischen einen Weg gefunden, das Veto des Milliardärs zu umgehen. Teilweise übernahm das Pentagon die Kontrolle über Starlink. Dass Geschäftsinteressen eines Milliardärs sich direkt auf den Verteidigungskrieg der Ukraine auswirken, ist ein Faktor der Unsicherheit in der aktuellen instabilen politischen Situation der USA.
Die ukrainische Führung steht vor einer komplizierten Aufgabe. Die eigene Bevölkerung hofft immer noch auf einen raschen Erfolg gegen die Aggressoren. Diese Erwartungen muss Selenskyj jetzt dämpfen. Der Sieg steht nicht morgen oder übermorgen bevor, sagt er dem britischen Economist. Möglicherweise werde es erforderlich sein in Richtung Kriegswirtschaft zu gehen, was bisher vermieden wurde. Die Regierung hat alle Regionalchefs von Rekrutierungsbüros der Streitkräfte wegen Korruptionsverdacht abgesetzt. Ein Signal, dass in der Führung der Wille zu einem Bruch mit alten Unsitten vorhanden ist. Aber auch ein Risiko für einen Präsidenten, der den Krieg nicht ohne die Eliten führen kann.
Aus Moskau gibt es unverändert keine Signale, dass Putin von seinem Ziel einer völligen Unterwerfung des Nachbarstaates abweichen könnte. Der nationale Befreiungskrieg der Ukraine verdient Solidarität auf lange Sicht.
ZUSATZINFORMATIONEN
Die Ukraine und Starlink
Die mit einer Antenne ausgerüsteten Terminals ermöglichen (unter freiem Himmel) Kontakt zu einem Starlink-Satelliten, der Zugang zu diversen Funktionen des Internet gibt. Ähnlich funktioniert das Konkurrenz der Firma Iridium. Tesla-Batterien sichern, dass das System auch funktioniert, wenn russische Angriffe die Stromversorgung zerstören. In Zukunft soll es mehr als 20 000 Starlink-Satelliten geben.