Der Terror von Moskau und seine Folgen, 4.4.2024

Der Überfall auf die Konzerthalle am Rande Moskaus ist mit mehr als 130 Toten der verheerendste Terroranschlag in Russland seit langem. Noch waren nicht alle Toten identifiziert, begann bereits ein gefährlicher Streit über die Hintergründe. Die USA haben die Ukraine von jeder Verantwortung freigesprochen. Ein Bekenntnis des afghanischen Ablegers der Terrormiliz Islamischer Staat wird von westlichen Experten als glaubwürdig bezeichnet. Von Putin kommen dunkle Andeutungen, die Killer seien aus Kiew ferngelenkt gewesen.

  Ein Blick zurück zeigt, dass bei Terroranschlägen weltweit politische Konsequenzen folgenschwerer sind als  Geheimdiensterkenntnisse.

 1999 erschütterte eine Serie von Terroranschlägen Russland. In Moskau wurden zwei Wohnhäuser in die Luft gesprengt. Hunderte Familien sind umgekommen. Es war das Jahr des Übergangs von Boris Jelzin zu Wladimir Putin. Der Kreml beschuldigte Terroristen im tschetschenischen Auftrag  Sprengstoff in den Kellern der Wohnhäuser gezündet zu haben, was die Tschetschenen bestritten. Putin, damals Ministerpräsident, schickte Truppen gegen die islamistische  Führung um Rebellenführer Schamil Bassajew in Grosny. Der zweite Tschetschenienkrieg begann. Er führte zum Untergang der Unabhängigkeit der Kaukasusregion.

 Über die Hintergründe der Anschläge von damals gibt es bis heute widersprüchliche Verdächtigungen. Als Täter wurden in Russland Kaukasier verurteilt.  Russische Oppositionelle und westliche Journalisten behaupten der russische  Geheimdienst FSB habe das Massaker toleriert oder sogar angestiftet. Unter den Anklägern war der  schillernde Oligarch Boris Beresovsky, der versuchte zwischen dem Kreml und den Tschetschenen zu vermitteln. Die Verdachtsmomente werden sich möglicherweise nie aufklären lassen. Unbestritten ist, dass mit dem Sieg über die Tschetschenen der Aufstieg Putins zum Alleinherrscher Russlands begann.

  Bis ins letzte Detail wissen wir inzwischen, wie es in den USA am 11.September 2001 zu den Anschlägen  gegen New York und Washington gekommen ist. Die Selbstmordattentäter sind alle bekannt. Für die 3000 Opfer gibt es jedes Jahr Blumen und Kränze. Osama Bin Laden, der  von den Al Kaida-Basen in Afghanistan den Angriff befohlen hatte,  wurde  bei einer US-Kommandoaktion in Pakistan getötet.

Ein weltpolitischer Einschnitt wurde 9/11 vor allem durch die Reaktion der USA. Die amerikanische Führung begann den sogenannten Krieg gegen den Terrorismus. Unter diesem Label liefen Geheimdienstaktionen gegen dschihadistische Organisationen in der ganzen Welt. Aber George W.Bush wollte mehr. Der Antiterrorkrieg mündete in der Invasion des Irak und führte zum größten Desaster der amerikanischen Außenpolitik seit Jahrzehnten. Den Irak haben die USA inzwischen verloren. Die Glaubwürdigkeit Amerikas als einer  Weltmacht, die versucht sich an das Völkerrecht zu halten, ist zerstört. Die Überreaktion auf den Terror hat die USA nachhaltig beschädigt.

 Besser gefahren sind Staaten, die es geschafft haben  ohne Racheanwandlungen auf  mörderische Terroranschläge zu reagieren. Als der Rechtsradikale Breivik 2011 in Norwegen 77 Menschen, vor allem Jugendliche,  massakrierte, versprach Regierungschef Stoltenberg feierlich, das Land werde sich von seiner rechtsstaatlichen Tradition nicht abbringen lassen. Frankreich reagierte 2015 mit Ausnahmezustand auf die hunderten Opfer der islamistischen Anschläge auf das Bataclan Theater, Bars und Restaurants. Die französischen Antiterrorgesetze wurden mehrmals verschärft.  Aber die rechtsstaatlichen Garantien blieben intakt. Das Abgleiten in Autoritarismus und militärische Abenteuer als Reaktion auf Terrorismus hat Europa vermieden.

  Wenige Tage nach dem Pogrom der Hamas vom 7.Oktober hat Joe Biden Israel nahe gelegt die amerikanischen Fehler zu meiden. Der Glaube, dass nach einem Terroranschlag ausschließlich Waffengewalt zum Ziel führt, sei ein Irrweg. Genau daran hält der Jüdische Staat jedoch seit Monaten fest. Was nach dem 7.Oktober als Selbstverteidigung legitimiert war, ist  zu einem Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung von Gaza geworden. Die Hamas ist militärisch geschlagen, hat aber nicht kapituliert, weshalb die Regierung Netanjahu einen Waffenstillstand ablehnt. Die Vereinten Nationen müssen daran erinnern, dass es ein Verbrechen ist, die Menschen in Gaza gezielt verhungern zu lassen. Israel zeigt, wie sich eine Gesellschaft als Reaktion auf einen Terroranschlag immer mehr verrennt.

 Was Kriegsherr Putin aus den vielen Toten der Konzerthalle bei Moskau machen wird, ist  unklar. Terroranschläge sind Beschleuniger bestehender Entwicklungen. Die Einführung der Todesstrafe und eine neue Mobilmachung stehen im Raum. Für die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer sind das beunruhigende Aussichten.

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