In der außenpolitischen Argumentation der USA hat der Ententest Tradition. Während des Kalten Krieges hatte man damit gerne linke Nationalisten zu bösen Agenten Moskaus gestempelt. Was aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt wie eine Ente, so der berühmte Spruch, das ist wohl auch eine Ente. Auf Ägypten angewandt ist das Ergebnis klar: Der Sturz des Präsidenten Mohamed Mursis war ein Militärputsch.
Blutige Provokationen gegen demonstrierende Islamisten, die Ausschaltung unliebsamer Medien, Anklagen gegen den inhaftierten Expräsidenten und seine Parteigänger, Verhaftungen und Repression. Was braucht man in Washington DC, Brüssel und Berlin eigentlich noch mehr an Beweisen?
Nicht jeder Coup ist gleich. Generalstabschef Al Sissi, der starke Mann des neuen Regimes, will liberale Politiker, abtrünnige Islamlisten und die Vertreter der christliche Minderheit hinter dem Regime scharen. Aushängeschild könnte Mohammed El Baradei werden, der Friedensnobelpreisträger, der sich selbst nie einer Wahl gestellt hat.
Das Kalkül Al Sissis ist klar: eine Art Mubarakismus ohne Mubarak soll errichtet werden. Pensionierte Generäle und Polizeioffiziere des alten Regimes beherrschen die Fernsehnachrichten. Die reichsten Magnaten haben aus dem Golf Milliarden überwiesen, damit sich die Wirtschaftslage verbessert. Saudi Arabiens König Abdullah ist über den Umsturz begeistert. Höchstwahrscheinlich hat auch die amerikanische Regierung ihren Segen gegeben, daher die große Scheu den Putsch beim Namen zu nennen. Das ägyptische Militär ist über tausend Fäden mit den USA verbunden.
Mohammed Mursi hat katastrophal schlecht regiert. Die Massendemonstrationen gegen seine Regierung vor dem Umsturz waren größer als seinerzeit gegen Mubarak. Aber er war der erste frei gewählte Präsident der ägyptischen Geschichte. Der politische Islam ist Teil der arabischen Demokratiebewegung. Ägypten ist das Schlüsselland der arabischen Welt. Folgt Mursi ein Militärregime, unter welchen Vorzeichen auch immer, wäre das ein schlimmer Schritt zurück.
Die säkularen Kräfte Ägyptens, die sich über das Scheitern der Regierung Mursi freuen und mit den Militärs paktieren, irren schwer. Eine dauerhafte Entmachtung der Moslembrüder wird es auf diesem Weg nicht geben. Erst wenn Islamisten abgewählt werden und man sie nicht mehr weggeputscht, können sie den Nimbus der ewigen Opfer verlieren.
Al Kaida, inzwischen geführt vom Ägypter Aywan Zawahiri, hatte immer schon Hohn und Spott für die Behäbigkeit der Bruderschaft übrig. Wird die Hauptströmung des politischen Islam in die Illegalität gedrängt, wäre das ein Geschenk für Extremisten in der ganzen Region.
Das Horrorszenario hat es 1992 in Algerien gegeben. Nach einem Sieg der Islamischen Heilspartei im ersten Wahlgang ergriff in Alger das Militär die Macht. Der Bürgerkrieg zwischen islamistischen Guerillagruppen und der Armee dauerte fast zehn Jahre. Es gab zehntausende Tote. Auch der letzte Militärputsch in der Türkei 1997 war ein Versuch die Islamisten aus dem politischen Leben zu entfernen. Glücklicherweise setzte Recep Erdogan auf ein Comeback innerhalb des politischen Systems.
Die heftige Reaktion der aktuellen türkischen Führung auf den Umsturz am Nil erklärt sich aus diesen Parallelen.
Die Herrschaft des Militärs ist nicht verfestigt. Die Situation am Nil bleibt im Fluss.
In historischen Umbrüchen passieren die größten Veränderungen in den Köpfen, erinnert der britische Economist. Die Revolutionen der arabischen Welt waren Akte der Befreiung nach Jahrzehnten von Diktatur und Bevormundung. Die Völker sind aufgewacht. Der Griff der Armee zur Macht kann sich als Intermezzo herausstellen.
2009 hat Barack Obama bei seiner legendären Rede in Kairo einen Neuanfang im Verhältnis zum Islam versprochen. Die amerikanische Regierung, von deren Milliardenzuwendungen das Land lebt, sollte jetzt schleunigst darauf drängen, dass sich die ägyptischen Militärs wieder in die Kasernen zurückziehen. Die Freilassung des gestürzten Präsidenten Mursi und seiner Gefolgsleute zu fordern, auf die Einstellung der getürkten Verfahren und die Wiederzulassung der Fernsehsender der Moslembruderschaft zu drängen, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Andernfalls würde das Signal lauten: demokratische Prinzipien werden vom Westen blitzschnell ausgesetzt, wenn in einem wichtigen Land ein Islamist bei Wahlen siegreich ist.