Der Konflikt der EU mit Belarus

  Wer einen syrischen, irakischen oder jemenitischen Pass hat, darf nicht mehr nach Belarus fliegen. Das ist das Resultat eines Blitzeinsatzes der EU-Diplomatie im Nahen Osten.  Druck auf Airlines soll verhindern, dass immer mehr Flüchtlinge zur polnischen EU-Außengrenze drängen. Zur Flüchtlingskrise zwischen Belarus und Polen selbst sind aus ganz Europa Solidaritätserklärungen mit Warschau zu hören.  Den Behörden in Minsk wirft die EU vor, die Krise bewusst herbeigeführt zu haben. Zusätzliche Sanktionen gegen hohe Funktionäre stehen bevor. Aber für die in den Wäldern der belarussisch-polnischen Grenzregion kampierenden Menschen fühlt sich Europa nicht zuständig.

  In Deutschland stellt sich der sächsische CDU-Ministerpräsident Kretschmer gegen die Aufnahme der feststeckenden Migranten. Die Bilder notleidender Menschen an der Grenze muss die Gesellschaft aushalten, sagt der Christdemokrat wörtlich. Man dürfe Polen nicht in den Rücken fallen. Einst hat Ex-Kanzler Kurz ähnlich Stimmung gemacht. Glücklicherweise klingen Vertreterinnen der zukünftigen Regierungskoalition anders. SPD-Bundestagspräsidenten Bärbel Bas verlangt Soforthilfe für die Gestrandeten. Grünen-Chefin Annalena Baerbock appelliert an Warschau Hilfsorganisationen zuzulassen. In Österreich schweigen Regierung und Opposition. Aus der Verantwortung für das Schicksal der Menschen, die zwischen die Fronten geraten sind,  kann sich kein EU-Land absentieren.

  Polnische Soldaten und Polizisten treiben Migranten vom Stacheldraht zurück.  Mateusz Morawiecki, Regierungschef   der rechtsnationalistischen Partei für Recht und Gerechtigkeit, behauptet, dass die Sicherheit der EU gefährdet sei. An der Grenze zu Belarus ginge es nicht um eine Flüchtlingskrise, sondern um hybride Kriegsführung.   

  In Wirklichkeit fallen Geopolitik und Flüchtlingselend zusammen.

  Ohne die Verzweiflung in den Lagern der Kriegsgebiete hätte das Regime in Minsk  keine Möglichkeit die EU durch eine neue Fluchtroute unter Druck zu setzen.  Lukaschenko glaubt eine Lockerung der Sanktionen erzwingen zu können, ohne einen einzigen politischen Gefangenen zu befreien. Mit ihrer  demonstrativen Härte verfolgt auch die  Führung  in Warschau  politische Ziele.  Polen muss sich gegen eine Invasion von außen zur Wehr setzen, lautet die martialische Diktion. Damit mobilisiert die Regierung die nationalen Reflexe gegen Bedrohungen von außen.

  Mit der Militarisierung des Grenzschutzes  geht eine Dämonisierung der Flüchtlinge einher.  Amnesty International erinnert, dass Push Backs, das erzwungene Zurückschicken von Flüchtlingen wie es polnische Grenzschützer praktizieren, den Menschenrechten widerspricht, ganz egal welche Verantwortung  Lukaschenko trägt.

 Die Bilder  erinnern an das Jahr 2015. Eine Million Flüchtlinge sind damals nach Europa gekommen. Sie konnten ein neues Leben beginnen. Die Vorstellung, dass einige tausend Migranten, die von Belarus aus nach Polen drängen, eine Gefahr für die EU darstellen, ist grotesk. Die EU-Staaten sollten die in den belarussischen Wäldern gestrandeten Menschen aufnehmen. Eine humanitäre Geste, die zu Polen, dem seine christliche Identität so wichtig ist, passen würde. Andere EU-Staaten müssten beteiligt sein, auch Österreich. An den Bemühungen, die von Belarus geöffnete irreguläre Fluchtroute über Flüge nach Minsk zu sperren, würde sich durch eine Rettungsaktion nichts ändern. Genauso wenig wie an zusätzlichen Sanktionen gegen das Lukaschenko-Regime.

   Das Regime in Minsk hat nicht den Spielraum eine internationale Krise ohne die Zustimmung Moskaus auszulösen. Russland verschärft seinen Kurs gegen den Westen. Es ist nicht auszuschließen, dass dem belarussischen Missbrauch von Flüchtlingen  ähnliche Operationen folgen werden. Auch andere Staaten greifen zu erpresserischen Methoden. Marokko hat es Anfang des Jahres jungen Leuten ermöglicht durch die Straße von Gibraltar  nach Spanien zu schwimmen, um die linke Regierung in Madrid wegen eines Disputs um die Westsahara zu bestrafen.  Die Türkei ließ  Migranten nach Griechenland, als die Gespräche über die EU-Finanzhilfe für die türkische Flüchtlingsbetreuung stockten. In beiden Fällen konnten die Spannungen durch Verhandlungen und Zahlungszusagen entschärft werden. Die von Hardlinern propagierte Abschreckung von Flüchtlingen hat keine  Rolle gespielt.

  Der Begriff der Invasion, wie er von der polnischen Führung für die Flüchtlingssituation  verwendet wird, soll die  Unmenschlichkeit an den EU-Außengrenzen legitimieren. Zu unrecht. Die Europäer haben die Ressourcen eine humanitäre Notsituation zu lösen und  gleichzeitig einer Destabilisierung der Grenzen entgegen zu wirken. Den politischen Willen müssen sie dazu noch mobilisieren.

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