Donald Trump hat recht. Die Sanktionen gegen Nordkorea, die im letzten Jahr drastisch verschärft wurden, haben gewirkt. Möglicherweise hat auch die unverantwortliche Drohung des Präsidenten mit einem Atomkrieg in Pjöngjang Eindruck gemacht. Das aktuelle Tauwetter auf der koreanischen Halbinsel reduziert das Risiko eines Krieges in Ostasien. Wenn aus dem unglaublichste Gipfel aller Zeiten zwischen Donald Trump und Kim Jong Un etwas wird, wäre das eine gute Nachricht für die Welt.
Kim Jong Un hat ebenfalls recht. Ohne einen sechsten Atomtest und funktionierende Interkontinentalraketen, wäre der amerikanische Präsident nie bereit gewesen, sich auf Verhandlungen einzulassen. Sollte es im Mai tatsächlich zu diesem Treffen kommen, werden die USA de facto die Legitimität der Kim-Dynastie anerkennen. Verhandlungen zum Abbau der Atomwaffen werden Jahre dauern. In dieser Zeit bleibt Nordkorea Atommacht.
Abrupte Wendungen hinterlassen unterschiedlich tiefe Spuren. Ronald Reagan schockierte seine Mitarbeiter in Reykjavik 1986 mit Zustimmung zu einem Plan Gorbatschows, Atomraketen abzuschaffen. Der Deal scheiterte im letzten Augenblick am Raketenabwehrtestprogramm der USA, dem Krieg der Sterne. Richard Nixon war mit seiner sensationellen Reise nach China 1972 erfolgreicher. Die prochinesische Kertwende des Kalten Kriegers veränderte die Weltpolitik. Die Achse Nixon-Mao isolierte die Sowjetunion.
Trump hat die Phantasie, dass er durch ein Tete-a-Tete mit Kim Jong Un ähnlich wie einst Nixon Geschichte machen kann. Als der südkoreanische Emissär das nordkoreanische Offert ins Weiße Haus brachte, war das State Department nicht eingebunden. Sogar Stabschef John F. Kelly und der Nationaler Sicherheitsberater McMaster hatten keine Ahnung, dass Trump die Einladung annehmen will. Diplomatie ist ein kompliziertes Handwerk. Ohne minutiöse Vorbereitung kann der Plan zu einem Gipfel zwischen „Rocket Man“, wie Trump Kim verhöhnte, und dem „Senilen Trottel“, wie Nordkorea über Trump zu schimpfen pflegte, zu einem Desaster werden.
Süßsaure Mine macht man zu der plötzlichen Gesprächsbereitschaft in Moskau und Peking. Die letzten Verhandlungsrunden vor mehr als 10 Jahren über das nordkoreanische Atomprogramm wurden im internationalen Konsens geführt, in den auch Russland und China eingebunden waren. Ein Separatdeal Trumps mit Kim würde für China den Status Nordkoreas als Pufferstaat zwischen der Volksbefreiungsarmee in Nordostchina und den 30 000 US-Soldaten in Südkorea entwerten. Trotz der unablässigen antiamerikanischen Propaganda ist manchen in Pjöngjang der große Nachbar China unangenehmer als der ferne Todfeind USA. Den starken Mann Chinas Xi Jinping hat Kim noch nie besucht, er war wohl auch nie eingeladen. Trump sticht Xi in Sachen Nordkorea ab. In Peking löst das Alarmglocken aus.
Dass Pjöngjang ein atomwaffenfreies Korea befürwortet, wie Kim dem südkoreanischen Geheimdienstchef versicherte, hat mit der von Washington verlangten einseitigen Aufgabe der nordkoreanischen Arsenals nicht viel zu tun. In der Vergangenheit war der Abzug der Amerikaner aus Südkorea für den Norden die wichtigste Voraussetzung. Wenn Trump realisiert, dass Kim keineswegs zur bedingungslosen Selbstentwaffnung bereit ist, könnte der publikumswirksame Dialog sehr rasch in eine neue Konfrontation umschlagen.
Dass Trump unter allen Umständen als unberechenbar gelten will, demonstriert er mit den Zöllen gegen Stahl und Aluminium. Der amerikanischen Wirtschaft geht es gut. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Sondermaßnahmen gegen ausländische Konkurrenz sind unnötig. Trotzdem lässt der Präsident seinen obersten Wirtschaftsberater fallen und riskiert einen Handelskrieg, um seinen protektionistischen Schwenk zu vollziehen. Mit einer soliden Basis von einem Drittel des Wahlvolkes im Rücken fühlt sich Trump immun gegen Querschüsse aus dem Establishment.
Der riskante Hochseilakt zwischen Washington und Pjöngjang zeigt eine extreme Personalisierung in der Weltpolitik. Narzistische Persönlichkeiten, die sich autoritär über die Staatsbürokratie ihrer Länder hinwegsetzen, bestimmen die Richtung. Der nationalistische Demagoge Trump befindet sich im permanenten Krieg mit dem eigenen Establishment. Der junge Diktator Kim Jong Un hat durch blutige Säuberungen seine Alleinherrschaft gefestigt. Die USA sind mit Nordkorea natürlich nicht vergleichbar, die Egomanie der Staatschefs schon. Chinas Volkskongress ermöglicht Präsident Xi Jinping eine Präsidentschaft auf Lebenszeit. Vladimir Putin ist permanenter Herrscher Russlands. Die Tendenz zu Autokraten, die scheinbar über Klassen und Institutionen stehen, erhöht die Unsicherheit in der Welt, auch wenn Korea von der überraschenden Wende kurzfristig profitieren könnte.