Der Aufstieg der rechtsrechten Schwedendemokraten zur zweitstärksten Partei des Landes schockiert Skandinavien. Die Organisation hat ihre historischen Wurzeln im Dunstkreis der schwedischen Nazis, die mit Hitler sympathisierten und Listen von Juden und Kommunisten erstellten, die im Fall eines deutschen Einmarsches festgenommen werden sollten. Für den smarten Parteichef von heute, Jimmie Akesson, ist das nach vielen Häutungen graue Vorzeit. Akesson hat seine Partei zum Teil der bürgerlichen Allianz gemacht, die das linke Wahlbündnis bei den jüngsten Parlamentswahlen besiegt hat.
Die Sozialdemokraten haben den schwedischen Wohlfahrtsstaat geschaffen, Der ist in den letzten Jahren ziemlich löchrig geworden. Halten die bürgerlichen Parteien zusammen, landet die Linke in der Opposition. Die kniffligste Frage de schwedischen Politik ist jetzt, ob die Rechtsaußenpartei als stärkste Kraft des bürgerlichen Lagers Minister stellen wird oder ob sie den Chef der Moderaten, Ulf Kristersson, als Regierungschef nur parlamentarisch unterstützt.
Der Sprung der Schwedendemokraten von zwei, drei Prozent vor fünfzehn Jahren zu einer Kraft, die die Geschicke des Landes mitbestimmt, entspricht der aufsteigenden Kurve für Rechtsextreme in Europa und den USA. Viktor Orbans Fidesz-Partei hat sich im Frühjahr gegen die vereinigte Opposition durchgesetzt. In Italien prophezeien Meinungsumfragen am kommenden Wochenende einen Durchbruch für Giorgia Melonis Fratelli d’Italia, die bis vor kurzem noch eine kleine neofaschistische Splittergruppe waren. Die Welle der autoritären Nationalisten ist nicht vorbei.
Veronika Bard war schwedische Diplomatin mit Einsätzen in Moskau und Wien. Die aktuelle Konstellation in Stockholm erinnert sie an Schwarzblau in Österreich vor 22 Jahren. Moderatenchef Ulf Kristersson versucht in Schweden Wolfgang Schüssels Kunststück von einst zu wiederholen, als drittstärkster Parteichef die Regierung zu führen, dank einer Achse mit den Rechtsrechten. Wie die sportlichen jungen Männer um Jörg Haider damals halb Österreich den Kopf verdrehten, hat die Diplomatin Veronika Bard gewundert. Damals waren die Schwedendemokraten ungehobelte rechte Rabauken, die aus der EU austreten wollten. Heute gibt sich ihr Chef Jimmie Akesson gemäßigt, während die Freiheitlichen sich abmühen, aus dem Sumpf der Ära Strache heraus zu finden.
Schwarzblau unter Schüssel und Haider war einst ein europäischer Skandal. An das Auf und Ab rechtsextremer Politiker hat man sich inzwischen gewöhnt, so scheint es. Zu unrecht. Wie knapp Demokratien an einer Wende zum Autoritarismus vorbei schrammen können, hat der Umsturzversuch Donald Trumps vom 6.Jänner 2021 gezeigt. Die liberalen Demokratien haben sich gegen die Angriffe rechter Demagogen als resilient erwiesen. Eine Garantie für die Zukunft gibt es keine. Ungarn, Polen und vielleicht demnächst Schweden und Italien auf destruktivem Kurs in der Europäischen Union, die auf multilateraler Zusammenarbeit basiert, wäre eine beispiellose Herausforderung.
Zu innenpolitischen Turbulenzen kommt die Geopolitik. Der russische Ukrainekrieg wirbelt Europa durcheinander. Rechte und linke Populisten laufen gegen die Sanktionen Sturm, mit denen Vladimir Putin dazu gebracht werden soll, seine Aggression zu stoppen. Die Schwedendemokraten stimmen dem NATO-Beitritt des traditionell blockfreien Staates zu. Auf parlamentarischer Ebene gibt es jedoch zahlreiche Verbindungen zu Duma-Abgeordneten der Putin-Partei, erinnert sich Veronika Bard, die schwedische Botschafterin in Moskau war. Die Rechte in Europa demonstrierte weltanschaulich Nähe, auch wenn man den Krieg ablehnt. Die Verbindungen, die der Kreml bis in die höchsten Kreise in Europa und den USA aufgebaut hat, sind ein schwer kalkulierbares Risiko.
Die etablierten Parteien zerstören unser schönes Land, Schweden zuerst, lässt sich die Botschaft der Schwedendemokraten resümieren. Hinter der harmlos klingenden Parole versteckt sich Antiausländerpolitik, eine menschenfeindliche Flüchtlingslinie und mehr Kompetenzen für die Polizei. Die Bandenkriminalität in multikulturellen Großstädten hatte die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Tatsächlich geht es den Rechten um die Instrumentalisierung der Verunsicherung und nicht darum, konkrete Probleme anzugehen, was zweifelsohne erforderlich war. Das aktuelle Schlachtfeld für die richtige Balance zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der Mehrheitsgesellschaft und der Verteidigung des multikulturellen Zusammenlebens, die einen autoritären Ruck vermeidet, ist jetzt Schweden. Ein Land mit starker humanitärer Tradition und demokratischer Widerstandskraft. Wie Skandinavien mit dem rechten Populismus fertig wird, ist für ganz Europa relevant.
ZUSATZINFORMATIONEN
Schwedisches Parteienspektrum
Die Sozialdemokraten (30,3%) kommen mit den verbündeten Linken (6,7%), Grünen (5,1%) und der linksliberalen Zentrumspartei (6,7%) im Reichsrat auf 173 Sitze. Die vier verbündeten Rechtsparteien mit Schwedendemokraten (20,5%) und Moderaten (19,1%) sowie Christdemokraten (5,3%) und Rechtsliberalen (4,6%) auf 176 Abgeordnete. Seit 1917 ist die Sozialdemokratische Arbeiterpartei ununterbrochen stimmenstärkste Partei des Landes.