Das Verfahren gegen Wistelblower Assange ist ein Skandal

Julian Assange ist der bedeutendste Wistleblower der jüngeren Vergangenheit. Vor zehn Jahren hat der Australier die Online-Plattform Wikileaks zum führenden Medium für geheime Daten aus Staaten und internationalen Konzerne gemacht. 2010 veröffentliche Wikileaks eine Viertel Million Depeschen aus Vertretungen der USA in der ganzen Welt. Die internen Urteile der US-Diplomaten widersprachen der offiziellen amerikanischen Außenpolitik. Unter dem Titel Collateral Damage verbreitete Wikileaks die Bordvideos von zwei Apache Kampfhubschraubern bei tödlichen Angriffen gegen unbewaffnete Zivilisten an einer Straßenkreuzung in Bagdad. IT-Spezialistin Chelsea Manning hatte Assange mit Informationen aus dem Pentagon beliefert, die den Verdacht von Kriegsverbrechen im Irak und Afghanistan nährten.
Ende Februar beginnt in London ein Gerichtsverfahren, das über die Auslieferung des Wistleblowers in die USA entscheiden wird. Julian Assange ist Häftling in der britischen Haftanstalt Belmarsh im Südosten Londons, weil er sich 2012 entgegen einer gerichtliche Anordnung in die ekuadorianischen Botschaft geflüchtet hatte. Ins Gehege der britischen Justiz war der charismatische Australier geraten, weil ihn zwei frühere weibliche Fans in Schweden der Vergewaltigung beschuldigt hatten. Die US-Anklage wegen Verschwörung nach dem Anti-Spionageparagrafen war damals noch unbekannt. Der Fall Assange ist juristisch so kompliziert, dass mit einem langen Verfahren zum Auslieferungsbegehren der USA gerechnet wird.
Politisch hat Julian Assange eine bewegte Geschichte. Man kann ihn vielleicht am ehesten als Freiheitsfan mit anarchistischen Zügen bezeichnen. Er versteht sich als Journalist und Aktivist zugleich. EU-Korrespondenten in Brüssel sind dem Aufdecker vor Jahren im Europaparlament begegnet, als für ihn noch kapitalistische Korruption im Zusammenspiel von Staaten und Großkonzernen im Zentrum stand. Danach begann seine Zusammenarbeit mit dem britischen Guardian bei der Veröffentlichung der Leaks aus der US-Regierung. Assanges Hass gegen das Establishment der USA und Hillary Clinton verleitete ihn zu seinem schwersten politischen Fehler: im Wahlkampf 2016 unterstützte er Donald Trump. Wikileaks ließ sich von russischen Hackern mit gestohlenen Emails aus dem Wahlkampfbüro der Demokratin füttern.
Julian Assange ist den Mächtigen ein Dorn im Auge, weil er Missstände aufgedeckt hat, die den Stempel vertraulich trugen. In der freien Welt ist das Recht der Medien garantiert, für die Öffentlichkeit relevante Informationen ans Tageslicht zu fördern, auch wenn sie regelwidrig entwendet wurden. Erstmals wird im Fall Assange der Anti-Spionageparagraf gegen einen Journalisten eingesetzt. Die Anklageschrift, mit der das US-Justizministerium die Auslieferung beantragt, ist ein Angriff auf die Pressefreiheit.
Publizistikprofessor Bruce Shapiro von der Columbia University untersuchte die juristischen Argumente der US-Staatsanwälte. Julian Assange habe tatsächlich die journalistischen Regeln verletzt, weil er seiner Quelle – IT-Technikerin Chelsea Manning – geholfen hat, zu ihren Informationen zu kommen. Er gab der Informantin einen Hinweis, wie ein Passwort des Pentagon zu knacken ist. Wahrscheinlich gesetzwidrig, gibt der Publizistikprofessor zu, aber kein Kapitalverbrechen. Mit Spionage hat es nichts zu tun. Das Delikt der Verschwörung begründen die Staatsanwälte mit einer Ermutigungsmail von Assange in Richtung Manning, die da lautet: „Curious eyes never run dry in my experience.“ Informanten zu ersuchen, bohrt doch bitte nach, gehört zur alltäglichen Praxis des Investigativjournalismus, schreibt der Experte. Die Anklage gegen Assange richte sich gegen die Aufdeckungsarbeit unabhängiger Medien.
Julian Assange hat einen wortgewaltigen Verteidiger im UNO-Sonderberichterstatter zur Folter Nils Melzer. Der Schweizer Jurist beschuldigt mehrere Regierungen sie hätten sich zusammengeschlossen, um Assange, „bewusst zu isolieren, zu dämonisieren und zu missachten.“ Gemeint sind die USA, Großbritannien, Schweden und Ecuador. Nils Melzer berichtet nach einem Besuch im Gefängnis von extremen Angstzuständen bei dem 48-Jährigen, die er als Symptome der psychischen Folter bezeichnet. Ein schwerer Vorwurf gegen einen Rechtsstaat. Die britische Regierung weist die Kritik zurück. Trotzdem: schon allein das Gefängnis für einen Unbequemen, wie Julian Assange, ist ein Skandal.
In den USA hat Aufdeckerin Chelsea Manning mit einer Gefängnisstrafe von 35 Jahren bezahlt. Nach einer Solidaritätskampagne wurde sie von Barack Obama begnadigt. Seit Monaten ist sie neuerlich in Haft, die Folge eines juristischen Rachefeldzuges unter Trump.  Die Vergewaltigungsverfahren gegen Assange in Schweden sind eingestellt. Die Journalistenverbände, die seine Freilassung verlangen, verteidigen weltweit den Spielraum für die kritische Presse. Den Auslieferungsantrag der USA muss Julian Assange auf freiem Fuß bekämpfen können.

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