Das Verfahren gegen Julian Assange. Notizen zu einer aktuellen Bestandsaufnahme.

In London begann Ende Februar ein ungewöhnliches Gerichtsverfahren. Vor Gericht stand Julian Assange, der bekannteste Wistleblower der letzten Jahre. Assange hat vor 10 Jahren die Aufdeckerplattform Wikileaks mitbegründet, über die zahlreiche geheime Informationen von Großkonzernen und Regierungen an die Öffentlichkeit gelangt sind. Darunter waren auch auch militärische Informationen der USA aus dem Irak und Afghanistan. Die USA verlangen die Auslieferung von Julian Assange aus Großbritannien in die USA. Sie werfen dem Aufdecker Spionage vor. Die Verteidiger des gebürtigen Australiers sprechen von einem Angriff auf die Pressefreiheit. Sie haben recht. Nach dem ersten Verhandlungsdurchgang versuche ich eine Bestandsaufnahme.
Dass unbequeme Journalisten als Spione behandelt werden, kennt man von autoritären Regierungen. Wie konnte es so weit kommen, ist doch Pressefreiheit im Westen ein hohes Gut?
Der Fall Assange ist extrem. Die amerikanischen Staatsanwälte behaupten, was Assange vorgeworfen wird, habe mit Pressefreiheit nichts zu tun. Es sei kriminell bestimmte geheime Informationen zu veröffentlichen. Dazu zieht man diverse Spionageparagrafen heran. Tatsächlich argumentieren die Behörden in China oder anderen autoritären Staaten ganz ähnlich, wenn Journalisten vor Gericht stehen. Das macht den Assange Prozess so beunruhigend.
Die Wurzel der Auseinandersetzung ist ein objektiver Interessensgegensatz zwischen Staaten und Militärs, die immer auf Geheimhaltung pochen, überall, und freien Medien, die möglichst viele Informationen an die Öffentlichkeit bringen wollen, selbst wenn unter dem Siegel der Geheimhaltung vertuscht werden soll.
In westlichen Demokratien haben Journalisten das Recht Informationen zu veröffentlichen, die unter die Kategorie Amtsgeheimnis fallen.
In den USA gilt die Regel: Geheimnisträger dürfen Staatsgeheimnisse nicht verraten. Aber Journalisten dürfen sie veröffentlichen, wenn das im öffentlichen Interesse ist. Das gehört zur Pressefreiheit, die in der amerikanischen Verfassung garantiert ist.
Im Fall Assange behaupten die amerikanischen Staatsanwälte, dass Assange durch seine Veröffentlichungen das Leben von amerikanischen Informanten oder Geheimdienstmitarbeitern im Irak oder in Afghanistan gefährdet hat. Die Verteidiger bestreiten diesen Vorwurf ganz entschieden.
Um was geht es dann konkret im Fall Assange? Was werfen die amerikanischen Behörden dem Aufdecker vor?
Die amerikanischen Staatsanwälte werfen ihm zweierlei vor: erstens, dass er in einem konkreten Fall, bei dem es um den Irakkrieg gegangen ist, seiner Informantin, Chelsea Manning, Tipps gegeben hat, wie man an geheime Informationen herankommt. In den USA ist es für Journalisten nicht ungewöhnlich ihre Informanten und Wistleblowern anzuspornen. Aber streng genommen dürfen sie sich an der Informationsbeschaffung nicht beteiligen. Das ist juristisch ein heikler Punkt.
Es ging um den Irakkrieg. Julian Assange hatte in Wikileaks Informationen veröffentlicht, wie eine amerikanische Helikopterbesatzung in Bagdad auf eine Gruppe von Zivilisten geschossen hat und wie die Soldaten sich einen Spaß daraus gemacht haben diese armen Menschen zu massakrieren. Möglicherweise handelte es sich um ein Kriegsverbrechen. Ganz sicher war der Bekanntmachung in hohem Ausmaß im öffentlichen Interessen.
Dann hat Julian Assange Emails aus amerikanischen Botschaften an das State Department in Washington in die Hand bekommen und veröffentlicht. Was die Diplomaten geschrieben haben, stand häufig im Widerspruch zur offiziellen amerikanischen Politik. Über diese geheimen Emails war es nach Darstellung der US-Regierung auch möglich an die Namen von Agenten oder Informanten zu kommen, die dadurch in Lebensgefahr gekommen sein sollen. Den Beweis, dass auf Grund der Wikileaks-Veröffentlichungen wirklich einem amerikanischen Diplomaten oder Informanten etwas passiert ist, sind die Staatsanwälte bisher schuldig geblieben.
Für viele Medienexperten hat Wikileaks Aufdeckungsjournalismus betrieben, der in einer Demokratie hilft Fehlentwicklungen zu korrigieren. Wenn man das Aufdecken von Missständen zu Spionage macht, wird die Pressefreiheit, wie wir sie kennen, deutlich eingeschränkt.
Die Verteidiger von Assange haben vor dem Gerichtsgebäude in London demonstriert. Es gibt Solidaritätsaufrufe in der ganzen Welt. Trotzdem ist der Mann auch unter Journalisten heftig umstritten, warum eigentlich?
Viele Medien und viele Journalisten, die in den letzten Jahren mit Assange zusammengearbeitet haben, haben sich mit ihm zerstritten. Der gebürtige Australier ist eine charismatische Persönlichkeit, das haben wir EU-Korrespondenten auch erlebt, als er vor Jahren im Europaparlament aufgetreten ist, um Wikileaks zu verteidigen. Aber offenbar agiert er eigenwillig und ist ganz auf sein Ich konzentriert. Diese Erfahrung mag ein Grund sein mit einer Person nicht zusammenzuarbeiten, aber es bedeutet nicht, dass gerechtfertigt ist, wie mit ihm umgegangen wird.
Politisch nehmen ihm Viele wahrscheinlich zu recht übel, dass er vor vier Jahren mit Informationen vom russischen Geheimdienst gegen Hillary Clinton gearbeitet hat. Das war in der Zeit des letzten amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes. Die russische Führung und damit auch Assange haben durch die Veröffentlichung gestohlener Emails aus dem Büro von Hillary Clinton Donald Trump geholfen. Da hat sich Julian Assange, der eine schillernde Persönlichkeit ist, sich politisch verrannt. Aber es macht ihn noch lange nicht zu einem Spion.
Ebenfalls Probleme hatte Assange mit der Justiz in Schweden. Es gab zwei Anzeigen wegen Vergewaltigung, die seinem Image und seinem Standing sehr geschadet haben. Diese Verfahren in Schweden werden inzwischen nicht mehr verfolgt. Aber sie waren der Grund, dass Assange jahrelang in der Botschaft von Ecuador in London als Flüchtling gelebt hat. Er bekam Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London, eine ziemlich einzigartige Situation.
Was sind die Hintergründe für die Flucht Assanges in das durch Diplomatenstatus geschützte Büro der ecuadorianischen Botschaft?
Julian Assange wollte damals, 2012, eine Auslieferung von Großbritannien nach Schweden unter allen Umständen vermeiden, weil er geglaubt hat, dass er aus Schweden leichter in die USA ausgeliefert werden könnte als aus Großbritannien. Ob das so stimmt, ist unklar. Wie man heute weiß, war die ecuadorianische Botschaft im Auftrag des CIA verwanzt. Alles, was Assange getan hat oder gesagt hat, wurde von den USA abgehört worden. Es war für Assange eine schwierige Zeit:sieben Jahre auf wenigen Quadratmetern einer Botschaft, ohne den Fuß vor die Türe zu setzen. Im letzten Jahr gab es einen Machtwechsel in Ecuador. Der linke Präsident wurde durch seinen proamerikanischen Vizepräsidenten abgelöst und die Ecuadorianer haben ihren Schützling den britischen Behörden übergeben.
Die Anzeigen wegen Vergewaltigung in Schweden sind von zwei weiblichen Fans gekommen, bei denen er übernachtet hatte. Assange hat diese Beschuldigungen immer zurückgewiesen. Die Fälle sind verjährt und werden von der Staatsanwaltschaft nicht mehr verfolg. Bei den Vergewaltigungsanzeigen gibt es eine Reihe von Unstimmigkeiten. Vieles deutet darauf hin, dass die schwedische Polizei offenbar sehr dahinter war, dass es zu diesen Anzeigen kommt. Diese Aussage kommt nicht von den Anwälten Assanges, sondern vom Folter-Beauftragten der UNO, einem angesehenen Schweitzer Juristen namens Nils Melzer. Melzer hat sich die ganze Sache angesehen hat. Er äußert den Verdacht, dass es im Fall Assange zu einer echten Verschwörung mehreren Staaten gekommen ist, um Julian Assange zu Fall zu bringen. Eine düstere Geschichte für alle, denen die Pressefreiheit wichtig ist.
Wie wird es jetzt weitergehen? Bei dem Verfahren in London geht es ja nur um die Auslieferung in die USA und nicht um die Substanz selbst?
Die Substanz spielt hinein, denn wenn in den USA eine Strafe droht, die vom britischen Recht nicht gedeckt ist, gilt eine Auslieferung als unwahrscheinlich. Obwohl Briten und Amerikaner als enge Verbündete ein gegenseitiges Auslieferungsabkommen haben. Bei diesen Anklagepunkten unter dem Spionageparagrafen würde Assange bis zu 175 Jahre Gefängnis drohen.
Verhandelt wurde vier Tage Ende Februar. Ende Mai sollen die Verhandlungen mit Zeugenaussagen wieder aufgenommen werden. Mit einer schnellen Entscheidung rechnet niemand. Ein Urteil erster Instanz über die Auslieferung von Julian Assange an die USA wird nicht vor dem Sommer erwartet. Beide Seiten könnten berufen und in die nächste Instanz gehen.
Die Frage ist auch: warum muss Assange die Zeit des Verfahrens im Gefängnis verbringen? Die britischen Behörden begründen die Haft mit Fluchtgefahr, weil Assange sich schon einmal in die ekuadorianische Botschaft abgesetzt hat. Seine Anhänger klagen, dass er unter extrem strengen Bedingungen im britischen Gefängnis Belmarsh in London festgehalten wird. UNO-Folterbeauftragter Nils Melzer sagt sogar, es sei psychische Folter, wie mit Assange umgegangen wird. Die Haftbedingungen sind mit eine Erklärung, warum sich so viele Intellektuelle und Journalisten international für die Freilassung von Julian Assange engagieren.

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