Nie zuvor haben im Deutschen Bundestag so viele Abgeordnete für eine Euro-Hilfsaktion gestimmt, wie bei der Verlängerung des Griechenlandprogramms. Mit Rücksicht auf die Syriza-Regierung in Athen schloss sich erstmals auch die Die Linke der proeuropäischen Mehrheit an. Es gab 541 Befürworter und nur 32 Nein-Stimmen. Die deutschen Konservativen stimmten im Gleichklang mit Syriza in Athen. 145 linksalternative Syriza-Abgeordnete waren bei der Fraktionssitzung für den deutsch-griechischen Kompromiss, fünf stimmten mit nein, fünf enthielten sich der Stimme.
Nach dem Regierungswechsel in Athen bekommt Alexis Tsipras vier Monate Zeit, um unter dem Schutz der Europartner seine Pläne zu konkretisieren. Von außen betrachtet ein schönes Beispiel europäischer Solidarität. Aber die Wirklichkeit ist anders.
Nie zuvor war die Stimmung so aufgeheizt zwischen Deutschen und Griechen. „Nein. Keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen,“ übertitelte die Bild-Zeitung eine hetzerische Kampagne. Der beleidigende Ton zieht sich durch die gesamte deutsche Presse. Dabei wird diesmal kein neues Geld gebraucht. Es geht um die Verlängerung des bestehenden Finanzierungsprogramms.
Kein Tag vergeht ohne eine neue herablassende Bemerkung von Wolfgang Schäuble über die linke Regierung in Griechenland. Umgekehrt brüskiert der flamboyante griechische Finanzminister Varoufakis gezielt die deutsche Öffentlichkeit. Das Kompromisspapier sei bewusst vage gehalten worden, damit zweifelnde Abgeordnete im strengen Norden bei der Stange bleiben, ließ er Journalisten wissen. Europäische Kompromisse kommen nie anders zustande. Ein Triumphgeheul stimmt normalerweise niemand an. Varoufakis spielt für die eigene Galerie. Wie seine Äußerungen in Deutschland ankommen, ist ihm egal. Ganz ähnlich nimmt Schäuble keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten der griechischen Linken. Das Unverständnis zwischen den wichtigsten Akteuren ist total.
Über das Schicksal des griechischen Hilfsprogramms ist in Athen, im deutschen Bundestag und im niederländischen Parlament diskutiert worden. In Berlin und Den Haag ist kein Grieche zu Wort gekommen. Bei der Debatte in Athen war kein EU-Vertreter dabei. Eine groteske Art, Entscheidungen europäische zu treffen. Weder deutsche noch niederländische Abgeordnete wurden gewählt, um über das Schicksal anderer Nationen zu entscheiden. Aber die Volksvertreter treten einander als Kreditgeber und Kreditnehmer gegenüber. Nationalistische Emotionen sind vorprogrammiert.
Ursprünglich sollte die Troika, bestehend aus Eurogruppe, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, Kollisionen zwischen schwachen und starken Nationen vermeiden. Die Regierungen in Berlin, Wien oder Paris konnten die Verantwortung auf eine scheinbar selbständige Expertenebene abwälzen. Mit der Weigerung der neuen griechischen Regierung, mit der Troika zu verhandeln, ist die Schutzkonstruktion geplatzt. Jetzt bleibt nur mehr die nackte Front der Staaten.
Die Defizite in der Architektur der Währungsunion werden immer deutlicher: Wie wahrscheinlich „Grexit“, der Euro-Austritt Griechenlands, wird, entscheiden allein Regierungen und nationale Parlamente. Das Europäische Parlament hat kein Wörtchen mitzureden. Die Europäische Kommission kann nur beraten, nicht entscheiden, obwohl sie die Regierung der EU ist. Es gibt keinen Euro-Kommissar, der Kompetenzen und Mittel hätte, über die Stabilisierung der griechischen Finanzen zu verhandeln. Die Währung ist gemeinsam, die Finanzpolitik national getrennt.
Ende 2012 würgten die Staats-und Regierungschefs, allen voran Angela Merkel, den bisher einzige Versuch ab, die politische Schwächen des Euroraums zu beseitigen. Diskutiert wurde ein Konzept zur politischen Weiterentwicklung der Währungsunion. Ein eigenes Eurobudget stand im Raum. Der Euroschutzschirm hätte zu einem Europäischen Währungsfonds entwickelt werden können. Im Europaparlament wäre eine Eurokammer für Krisenfälle zuständig geworden.
Welche Reformen die Wirtschaft braucht und wann die Regierungen sparen müssen, wäre in einer politischen Währungsunion weiter strittig. Aber entscheiden würde Europa und nicht der Deutsche Bundestag.
Merkel ließ die Euro-Integration 2012 aus Rücksicht auf ihre 2013 bevorstehende Bundestagswahl stoppen. Zur großen Erleichterung der anderen Regierungschefs, denen die Vorstellung gar nicht geheuer war, neue Kompetenzen zusammen zu legen. Das Resultat der abgesagten Korrektur ist bedrückend. Das wichtigste Gegenüber für die Griechen ist kein europäischer Politiker sondern die ungeliebte Führungsmacht Deutschland.
Die Verlängerung des Griechenland-Programms ist noch einmal gut gegangen. In vier Monaten wird es um neue Finanzmittel gehen. Die Probleme wurden herausgeschoben, nicht gelöst, in Griechenland wie in Europa.