An der Eskalationsschraube im Nahen Osten wird eifrig gedreht

Vor zwei Wochen haben Angreifer die wichtigste Raffinerie und die größte Ölanlage Saudi Arabiens mit Drohnen und Marschflugzeugen zerstört. Das Königsreich muss seine Erdölproduktion auf die Hälfte reduzieren. Sechs Prozent des weltweiten Bedarfs sind betroffen. Fossile Brennstoffe mögen Gift für das Klima sein, im Nahen Osten werden Kriege um das schwarze Gold geführt.
Saudi Arabien beschuldigt den Iran hinter dem Angriff zu stehen, den die proiranischen Huthi-Rebellen im Jemen für sich beansprucht. Die Flugkörper seien nicht aus südlicher Richtung gekommen, sondern aus dem Norden, wo iranischen Revolutionsgardisten und proiranische Milizen im Irak ihre Stützpunkte haben. Die Regierung in Teheran weist jede Verantwortung von sich. Aber die Zerstörung der saudischen Ölanlagen passt zur schrittweisen Eskalation, mit der der Iran auf die Wirtschaftssanktionen der Trump-Administration nach dem Ausstieg der USA aus dem internationalen Atomdeal reagiert.
Im Frühjahr wurden Öltanker in der Straße von Hormuz angegriffen. Im Juni holten die Revolutionsgardisten ein unbemanntes US-Spionageflugzeug vom Himmel. Die USA blockieren den Verkauf iranischen Öls. Im Gegenzug geht Teheran gegen Ölexporte der amerikanischen Verbündeten vor. Die verwüsteten Ölfelder der Saudis sehen nach einem weiteren Schritt im Revanchefeldzug der Iraner aus.
Als einst Saddam Hussein die Ölquellen in Kuweit besetzen ließ, schickten die USA unter Bush senior eine Streitmacht um die halbe Welt, um die Iraker zu vertreiben. Nachnachfolger Donald Trump lässt die Welt via Twitter großsprecherisch wissen, die USA seien „locked and loaded“ und zum Gegenschlag bereit. In Wirklichkeit wirkt die Supermacht desorientiert.
Donald Trump will keinen großen Krieg. Seinen Anhängern hat er den Rückzug aus den weltweiten Krisenherden versprochen. Vor einem amerikanischen Wahljahr will er keine neuen Verwicklungen. Nach dem Abschuss der 130 Millionen Dollar teuren US-Überwachungsdrohne vom Sommer zog er den Befehl zur Bombardierung iranischer Militäreinrichtungen im letzten Augenblick zurück. Auch Barack Obama wollte verhindern, dass die USA als Obersheriffs der Region agieren. Aus dem syrischen Bürgerkrieg hielt sich Amerika weitgehend heraus. Andererseits spricht US-Außenminister Mike Pompeo von den Drohnenattacken gegen die Saudis wörtlich als „Akt des Krieges“.
Die US-Regierung setzt sich mit der frontalen Beschuldigung des Iran selbst unter Zugzwang. Wenn ein Verbündeter angegriffen wird, schlägt eine Supermacht normalerweise zurück. Der Iran kann neben den Huthis im Jemen Verbündete im Libanon, in Syrien und im Irak mobilisieren. Bei jedem kleinsten militärischen Angriff werde die Islamische Republik mit einem Krieg ohne Grenzen reagieren, heißt es in Teheran. Die Botschaft bedeutet: selbst bei möglicherweise beschränkten US-Luftangriffen gegen iranische Ziele würde in der ganzen Region die Hölle ausbrechen. Die USA stünden dann in einem neuen umfassenden Konflikt, was Trump vermeiden will.
Saudi Arabien ist der größte Waffenimporteur der Welt. Um viele Milliarden Dollar kauft Riad jedes Jahr Kriegsgeräte aus den USA. Trotzdem ist das Königreich nicht im Stande seine größten Erdölanlagen zu schützen. Das Pentagon schickt Raketenabwehreinrichtungen und einige hundert Soldaten.
Strategie ist in Washington keine zu erkennen. Trump hat erst vor zwei Wochen seinen Nationalen Sicherheitsberater John Bolton gefeuert, der einen Umsturz im Iran herbeiführen wollte. Im Kongress warnen die Demokraten davor, amerikanische Soldaten als Söldnern für das korrupte saudische Königshaus einzusetzen. Die bestialische Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf Befehl des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman erfolgte, ist in Washington nicht vergessen. Das Chaos in der amerikanischen Außenpolitik war selten so deutlich zu sehen.
Angesichts der Eskalationsspirale stehen die Europäer mit ihren Vermittlungsangeboten auf verlorenem Posten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will den Iranern Erdölgeschäfte über eine Kreditlinie von 15 Milliarden Dollar ermöglichen. Der iranische Präsident Rohani soll im Gegenzug dafür sorgen, dass sich sein Land weiter an die Beschränkungen des Atomdeals hält. Der Plan hatte nie große Chancen. Jetzt muss er aufs Eis gelegt werden.
Die Crisis Group, eine NGO von Außenpolitikexperten, spricht von einem „1914 Moment“ im Nahen Osten. Die Spirale kriegerischer Maßnahmen und Gegenschritte erinnere an Europa vor dem Ersten Weltkrieg. Ob der Kontinent damals wirklich schlafwandelnd in die Katastrophe geschlittert ist, wie ein bekannter Buchtitel des Historikers Christopher Clark suggeriert, ist fraglich. Für die aktuellen Rivalitäten des Nahen Ostens könnte die Bezeichnung passen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*