Zum Tod von Daniel Ellsberg, Falter Maily 19.6.2023

Daniel Ellsberg, der vergangene Woche 92-jährig in den USA gestorben ist, war der Whistleblower der Vietnamkriegszeit. Der damalige Mitarbeiter des Pentagons hat 1969 in einer Nacht-und-Nebel Aktion 7000 Seite geheime Dokumente aus dem US-Verteidigungsministerium kopiert. Die sogenannten Pentagon Papers bewiesen, dass ein Großteil der Behauptungen über den Indochinakrieg erlogen waren.

Den Zwischenfall im Golf von Tonkin, bei dem die Nordvietnamesen angeblich amerikanische Kriegsschiffe in internationalen Gewässern angegriffen haben, hat zum Beispiel nie stattgefunden. Das Märchen bewegte den Kongress, grünes Licht für amerikanische Flächenbombardements gegen Hanoi und Haiphong zu genehmigen. Es war ein Durchbruch für die Pressefreiheit, als der Oberste Gerichtshof das von der US-Regierung verlangte Verbot der Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen durch New York Times und Washington Post ablehnte. Präsident Nixon und sein damaliger Sicherheitsberater Henry Kissinger wollten Ellsberg daraufhin persönlich fertig machen. Nixon schickte Einbrecher zum Psychiater, bei dem der Whistleblower in Behandlung war, um Ellsberg zu erpressen. 

Der Vietnamkrieg hat noch Jahre gedauert. Aber die amerikanische Antikriegsbewegung erhielt mächtigen Auftrieb. Unter der Parole „Out Now“ verlangten Hunderttausende den Rückzug der USA aus Indochina. Bei der großen Antikriegsdemonstration in Salzburg 1971 gegen den Besuch von Richard Nixon in Österreich war die Vertreterin der amerikanischen Friedensbewegung und spätere Familiensoziologin Stephanie Coontz eine der populärsten Rednerinnen.

Die amerikanische Demokratie hat aus der Krise der Indochinakriege herausgefunden, weil der Spielraum für zivilen Ungehorsam, für den Ellsberg gestanden ist, vorhanden war und sogar ausgeweitet wurde. In  Russland lässt Wladimir Putin Kriegsgegner zu vielen Jahren Gefängnis verurteilen.

Antikorruptionskämpfer Alexej Nawalny, der Journalist Wladimir Kara-Mursa und andere politische Gefangene werden erst bei einem Umsturz in Moskau wieder freikommen. Ihr Leben in russischen Strafkolonien ist in Gefahr. Die vielen tausend Russinnen und Russen, die aus Solidarität mit der Ukraine gegen den Angriff protestiert haben, sind in die innere Emigration gegangen. Aber wir sollten das Potential der russischen Gesellschaft nicht übersehen, bei unerwarteten Entwicklungen die faschistoide Kriegsrhetorik des Kreml beiseite zu schieben. Wird es russische Ellsbergs geben? Zu hoffen ist es, auch im Interesse Russlands.

Der New Yorker erinnert an Ellsbergs aktivistisches Leben nach den Pentagon Papers. Ganze 90 Mal wurde er bei antimilitaristischen Protesten festgenommen. Geheimdokumente über US-Atomkriegspläne aus dem Pentagon, die er ebenfalls kopiert hat, wurden erst Jahre später bekannt.

Daniel Ellsberg hat sich zuletzt mit aller Kraft für Julian Assange eingesetzt, den Begründer der Aufdeckerplattform Wikileaks. Wikileaks hat mithilfe der Whistleblowerin Chelsea Manning amerikanische Kriegsverbrechen im Irakkrieg offen gelegt. Manning kam anders als Ellsberg vor Gericht, wurde in der Zwischenzeit aber begnadigt. Gegen Julian Assange läuft noch immer ein Auslieferungsbegehren der amerikanischen Justiz an Großbritannien, weshalb Assange seit 2019 im Gefängnis sitzt.

Die fortgesetzte Inhaftierung Assanges ist ein Skandal, der auch von anfänglich skeptischen amerikanischen Medien angeprangert wird. Das Ableben Daniel Ellsberg erinnert die westliche Welt daran, was sie Whistleblowern alles zu verdanken hat. Assange sollte seine Freiheit endlich zurück bekommen.

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