Zerreißprobe Libyen, ORF

Im Süden des Mittelmeeres kommt der nordafrikanische Staat Libyen nicht zur Ruhe. Seit dem Sturz des Diktators Gaddafi vor fast 10 Jahren ist es nicht gelungen stabile Verhältnisse in dem an Öl reichen Land zu schaffen. Seit einigen Monaten tobt ein offener Bürgerkrieg zwischen der offiziellen von der UNO anerkannten Regierung und dem Kriegsherren Haftar, der vom Osten her auf die Hauptstadt Tripoli vorrückt. Beide Seiten haben internationale Verbündete, die zu ihrer Unterstützung Geld, Waffen und sogar bewaffnete Söldner zur Verfügung stellen. Europa hofft auf einen Waffenstillstand, war aber bisher nicht sehr erfolgreich. Am kommenden Wochenende lädt Angela Merkel zu einer Friedenskonferenz nach Berlin, aber die Erfolgsaussichten der Konferenz sind unklar. Was macht denn die Situation in Libyen so gefährlich, dass sich die deutsche Regierung, die normalerweise zu den Ereignissen im Mittelmeer eher auf Distanz bleibt, so stark engagiert?
Es hat in den letzten 9 Jahren, seit dem Sturz von Muhamar Gaddafi immer wieder Phasen des Bürgerkrieges. Das Land hat nie zu Stabilität zurückgefunden. Was jetzt droht ist eine hochgefährliche Internationalisierung, weil sich immer mehr Akteure von außen einmischen, und zwar sehr massiv.
Russland hat sich eingeschaltet, und zwar mit mehreren hundert Söldnern einer privaten Militärorganisation namens Gruppe Wagner. Putin sagt, die russische Regierung hat mit der Truppe nichts zu tun, aber gegen den Willen Moskaus können diese Leute nicht aktiv sein. Russland steht im libyschen Bürgerkrieg auf der Seite des Rebellenführers General Haftar und die russischen Söldner belagern seit Wochen die Hauptstadt Tripoli und die offizielle Regierung für den Rebellengeneral.
Dazu kommt jetzt die Türkei. Präsident Erdogan schickt Waffen und Militärausbildner an die offizielle Regierung in Tripoli. Auch hunderte protürkische Kämpfer aus Syrien sind in Libyen aufgetaucht.
Dazu kommen andere Staaten, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, die sich einmischen. Es geht um die Kontrolle über die Teile des Landes in denen Öl gefördert wird, dieses Öl ist sehr viel wert. Und noch mehr: es geht um Erdgas im östlichen Mittelmeer, auf die Erdgasreserven möchten viele Anrainerstaaten Zugriff haben. Deutschland versucht jetzt im Namen aller Europäer einen Waffenstillstand zu festigen und zu einer Verhandlungslösung zu kommen.
Wer sind denn überhaupt die Bürgerkriegsparteien und auf woher kommt dieses Chaos?
Das hat mit dem Sturz Gaddafis im arabischen Frühling 2011 zu tun. Gestürzt wurde er ja durch einen Volksaufstand, der von der NATO unterstützt wurde. Gaddafi war ein brutaler Herrscher, aber er hat die in Libyen so wichtigen Stammesloyalitäten zurückgedrängt.
Nach seinem Sturz ist die Armee zerfallen, die Geheimdienste haben sich aufgelöst. Lokale Milizen sind sich durchgesetzt.
Diese Milizen haben die Kontrolle über Ölfelder bekommen und sind dadurch auch reich geworden. Plötzlich ist IS aufgetaucht, die Dschihadisten, und die Rivalitäten zwischen all diesen Akteuren sind gewachsen und gewachsen. Ein ziemliches Chaos.
Was wir jetzt haben ist eine Teilung zwischen den westlichen und den östlichen Landesteilen. Die offizielle Regierung unter Ministerpräsident Sarradsch mit dem Sitz in Tripoli. Die aber keine schlagkräfte Armee hat und auf die Unterstützung von verschiedenen Stammesmilizen, darunter auch Islamisten, im Westen des Landes angewiesen ist.
Auf der anderen Seite steht der rebellische General Haftar, der vom Osten aus agiert und der von Ägypten unterstützt wird. Das ist ein ehemaliger Militär aus der Gaddafi Zeit, der sich dann abgesetzt hat von Gaddafi und von dem viele Sagen, er möchte es so machen wie Präsident Sissi in Ägypten, er will eine Militärdiktatur errichten.
Gibt es eigentlich so etwas wie Gaddafi-Nostalgie in Libyen?
Gibt es schon, weil natürlich die Sicherheit für die Menschen ungleich größer war und weil es auch wirtschaftlich unvergleichlich besser gegangen ist.
Aber man erinnert sich natürlich auch an die Willkür der Geheimdienste und die Repressen, übertrieben rosig sieht diese Zeit niemand.
Der zweite Sohn Gaddafis Saif al-Islam, der auch in Österreich bekannt wurde durch seine Verbindung mit Jörg Haider, wird vom Internationalen Tribunal in Den Haag wegen Kriegsverbrechen gesucht. Er war mehrere Jahre in Haft, ist von einem libyschen Gericht zum Tode verurteilt worden. Aber inzwischen ist er wieder frei. Saif al Islam hat mehrmals versucht wieder eine politische Rolle zu übernehmen, funktioniert hat das bisher nicht.
Europa ist ja sehr direkt betroffen. Weil Libyen in der unmittelbaren Nachbarschaft liegt und weil immer wieder Flüchtlinge versuchen mit Booten nach Italien zu gelangen. Wie hängt diese Fluchtbewegung mit der Bürgerkriegssituation in Libyen zusammen?
Das hängt damit zusammen, aber nur bedingt. Die Boat People, die immer wieder versuchen über das Mittelmeer zu kommen, sind ja keine Libyer. Das sind in der großen Mehrheit Menschen, die aus Flüchtlingslagern in Libyen kommen. In besseren Zeiten hat es viele Gastarbeiter gegeben in Libyen, aus dem gesamten Nahen Osten und aus verschiedenen afrikanischen Staaten. Aber das ist vorbei. Was wir jetzt haben sind Menschen in libyschen Flüchtlingslagern, die UNO sagt das sind 4000 Personen, die dort hängen geblieben sind und immer wieder zwischen die Fronten geraten. Das sind die Leute, von denen immer wieder Gruppen versuchen auszubrechen und mit Hilfe von Schleppern nach Europa zu kommen.
4000 Personen, das ist keine riesige Zahl, aber bisher hat es keine Lösung für diese Menschen gegeben. Norwegen und Schweden, sind die einzigen Staaten, die über sogenannte Resettlement Programme Flüchtlinge aus UNHCR-Lagern in Libyen aufnehmen.
Es ist eine beschämende Situation, dass für diese notleidenden Menschen in Not keine Lösung gefunden wurde.
Die EU hat ja viel Geld in die Ausbildung des libyschen Grenzschutzes gesteckt. Italien hat als ehemalige Kolonialmacht viele Verbindungen zu Libyen. Könnten die Europäer nicht mehr tun?
Klar, es geht für die Europäer um viel, aber wieder einmal fehlen die gemeinsamen Mittel und die gemeinsame Strategie. In Brüssel gibt es ja den neuen Chefdiplomaten der EU Josep Borrell, der hat diese Woche vor dem Europaparlament gesagt Libyen ist ein Beispiel, wo die Soft Power der Europäer versagt. Also finanzielle Unterstützung der offiziellen Regierung, wirtschaftliche Deals, die Ausbildung von Polizisten oder Grenzschutzleuten. Man bräuchte nicht nur Soft Power sondern Hard Power, also Militär, sagt Borrell.
Genau diese Rolle der Träger von Hard Power haben jetzt Russland übernommen, mit den russischen Söldnern, und die Türkei. Ob das einer Seite zum Sieg verhilft in diesem Bürgerkrieg kann niemand sagen. Aber wenn ja, wenn durch ausländische Einflüsse eine Seite erfolgreich ist, dann kann es leicht sein, dass Russland Militärstützpunkte errichtet, wie in Syrien. Oder dass sich Russland und die Türkei die Einflusssphären aufteilen.
Merkel will eine solche Entwicklung verhindern, dazu soll diese Libyen Friedenskonferenz in Berlin am Wochenende dienen. Aber ob die Chefs der Bürgerkriegsparteien kommen werden, oder ob sie Stellvertreter schicken, ist unklar.
In Libyen ist eine Situation entstanden, in der Staaten, die direkt militärisch mitmischen, am meisten Einfluss haben. Das sind nicht die Europäer.

 

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