Warum es zum diplomatischen Crash zwischen Prag und Moskau kam

Zwischen Prag und Moskau fliegen diplomatisch gesehen die Fetzen. Die gegenseitige Ausweisung von Diplomaten ist ein ziemlich scharfer Schritt, wenn  Staaten miteinander im Clinch liegen. Man sagt dann immer, die ausgewiesenen sind Spione. Trotzdem ist das nicht  ganz ungewöhnlich, vor allem bei Streitigkeiten zwischen Russland und dem Westen. Was macht den gegenwärtigen Schlagabtausch zwischen Tschechien und der Russischen Föderation so bemerkenswert?

Es ist einmal die  ungewöhnliche Dimension bei diesen Ausweisungen.  Normalerweise  werden in solchen Krisen zwei, drei Diplomaten als Spione bezeichnet oder man wirft ihnen anderen Vergehen vor, und sie müssen die Koffer packen. Tschechien hat gesagt 18 Angehörige der russischen Botschaft in Prag sind Geheimdienstmitarbeiter und sie müssen das Land verlassen. Das sind ungewöhnlich viele Diplomaten. Russland hat sich mit 20 Ausweisungen revanchiert, also einer noch größeren Gruppe. Die tschechische Botschaft in Moskau ist nicht so riesig, da arbeiten normalerweise zwei Dutzend Mitarbeiter. Wenn 20 ausgewiesen sind, ist de facto die diplomatische Vertretung Tschechiens in Russland lahmgelegt.

Und dann kommt dazu, die Schärfe mit der  die tschechische Regierung diese diplomatischen Eklat begründet. Regierungschef Andrej Babis hat Russland Staatsterrorismus vorgeworfen, weil russische Agenten ein Munitionslager in Südtböhmen in die Luft gesprengt haben sollen. Und Tschechien fordert alle anderen EU-Staaten dazu auf, aus Solidarität ebenfalls russische Diplomaten auszuweisen.

Das ist ziemlich starker Tobak. Bemerkenswert auch deshalb, weil in Tschechien der Präsident Zeman als eher russlandfreundlich gilt und man gerade von einer tschechischen Regierung derartige Vorwürfe in Richtung Moskau nicht erwartet hätte.

Moskau sagt in Prag herrscht antirussische Hysterie und weist alle Vorwürfe zurück.

Was hat denn wirklich zu dieser  Eskalation geführt? Die Explosion in einem Waffenlager in Südtschechien, um die es geht, ist ja schon sieben Jahre her?

Bei solchen Vorwürfen, wenn es um Spionage und Geheimdienstaktionen geht, weiß man oft nicht ganz genau warum welche Enthüllungen plötzlich zum politischen Skandal werden.

Diese Explosion eines Munitionslagers bei Ostrava 2014 war immer schon mysteriös. Weil Öffentlichkeit bis heute nicht genau weiß, was ist dort wirklich gelagert worden und für wen. Aber zwei tschechische Staatsbürger sind ums Leben gekommen. Es war eine riesige Explosion, tausende Bewohner in der Umgebung mussten zeitweise evakuiert werden. Und die tschechische Regierung hat jetzt offenbar festgestellt, dass sich genau zu der Zeit russische Geheimdienstleute in der Gegend aufgehalten haben. Und zwar sechs Mitarbeiter  des Militärgeheimdienstes GRU, darunter auch ein ganz hoher General des Geheimdienstes, mit direkten Kontakten zum Kreml und zur obersten Führung des Militärgeheimdienstes. Das war offenbar ein richtiges Kommando von russischen Spionen unterwegs.

  Einige dieser Leute sind übrigens über Wien gekommen. Österreich war offenbar eine Drehscheibe für diese Operation dieses Munitionsdepot in die Luft zu jagen.

  Warum war dieses tschechische Waffenlager so wichtig, dass der russische Geheimdienst eine derart umfassende Operation gestartet hat? Das ist völlig unklar. 2014 war das Jahr, in dem Russland die Krim annektiert hat und in dem der russische Krieg gegen die Ukraine begonnen hat. Die Regierung in Prag ist offenbar überzeugt, dass eine derartige Operation nicht ohne Zustimmung der obersten Staatsführung Russlands passiert sein kann, also ohne dass Putin eingebunden war, daher diese sehr umfassende Gegenaktion sieben Jahre später. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Beziehungen zwischen Russland und der EU sowieso sehr belastet sind.

 Es gibt ja inzwischen eine ganze Reihe wechselseitiger Diplomatenausweisungen mit Russland. Auch  Polen und Bulgarien waren betroffen.  Was steckt denn hinter dieser europäischen Dimension des  aktuellen Disputs?

  Die Europäer haben das Gefühl, dass sich in den letzten Jahre russische Geheimdienstkommandos ziemlich ungeniert in EU-Staaten bewegt haben und dabei auch vor Gewalttaten nicht zurückgeschreckt sind.

Bulgarien sagt, man hat einen russischen Spionagering im bulgarischen Verteidigungsministerium aufgedeckt, der von der russischen Botschaft aus aufgebaut wurde. Beide Staaten, Tschechien und Bulgarien sind ja NATO-Staaten, waren früher WP-Mitglieder, haben aber heute enge Verbindungen zum amerikanischen Militär, das macht sie natürlich für russische Spionagetätigkeit besonders interessant.

Noch eine wichtige Verbindung gibt es, und zwar nach Großbritannien. Vor drei Jahren ist in der Stadt Salisbury ein russischer Doppelspion namens Skripal vergiftet worden, mit dem Nervengift Nowitschok. Offenbar ein russischer Geheimdienstanschlag. Zwei russische Staatsbürger, die in Großbritannien als Geheimdienstleute entlarvt worden sind, waren auch in Tschechien dabei, wie dieses Munitionsdepot in die Luft geflogen ist. Und bei einem Waffenhändler in Bulgarien, der ebenfalls vergiftet wurde, war eine ganz ähnliche Situation.

Der Eindruck ist, dass das keine Einzelfälle sind, sondern, dass man es mit konzertierten Aktionen einer oder mehrerer russischen Geheimdienste zu tun hat.

In Tschechien gibt es jetzt auch wirtschaftliche Konsequenzen dieser Spannungen mit Russland. Tschechien wollte das  Atomkraftwerk Dukovany ursprünglich durch Zusammenarbeit mit Russland ausbauen. Jetzt werden russische Firmen von der Ausschreibung ausgeschlossen.

Weiter an guten Beziehungen zu Russland festhalten will dagegen Deutschland. Die deutsche Regierung will an der Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 in der Nordsee festhalten. Ist das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Vladimir Putin durch diese russischen Geheimdienstaktionen gar nicht beeinträchtigt?

Doch absolut, es hat im letzten Jahr auch gegenseitige Diplomatenausweisungen zwischen Moskau und Berlin gegeben, nur hat man das nicht an die große Glocke gehängt.

Der Anlass war tragisch. Es war die Ermordung eines Dissidenten aus Georgien am helllichten Tag im Kleinen Tiergarten in Berlin. Mitte 2019.  Der Attentäter hat den Mann aus Georgien von einem Fahrrad aus erschossen, ist aber festgenommen worden. Der Georgier hat im Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft und war den Russen ein Dorn im Auge. Die deutsche Bundesanwaltschaft hat den Fall übernommen und sagt, der Mörder gehört zu russischen Diensten und  höchste russische Stellen könnten verwickelt sein. Daraufhin hat auch Deutschland   zwei russische Diplomaten ausgewiesen, es gab die übliche Retourkutsche.

Aber Angela Merkel telefoniert  nach wie vor mit Vladimir Putin. Glücklicherweise. Mit einem russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine kam zum Geheimdienstkrieg jetzt auch eine noch größere und gefährlichere Dimension dazu. Russland sagt, es hat sich um Manöver gehandelt, die demnächst abgeschlossen werden.   

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