EU-Außenpolitik:Europa kann ein Gigant sein, oder 28 Zwerge

Ein Jahr vor dem Ende ihrer Amtszeit hat Catherine Ashton eine ungewohnt gute Presse. Dass die Chefdiplomatin der EU als machtlos belächelt wurde, ist Vergangenheit. Unvermutet ist die EU außenpolitisch gefragt. Gegenüber dem Iran, auf dem Balkan und in der Ukraine hat die britische Baroness eine zentrale Vermittlerrolle übernommen.

Deutschlands Guido Westerwelle und Schwedens Carl Bildt konnten in Kiew nicht viel mehr tun, als Hände zu schütteln. Die USA beschränkten sich auf eine Sanktionsdrohung gegen die Regierung, angesichts der geopolitischen Spannungen mit Russland eine  kontraproduktive Geste. Währenddessen verhandelte Ashton stundenlang mit Viktor Janukowitsch. Die ukrainische Führung braucht Signale, dass eine Annäherung an die gesamte Europäische Union nach wie vor möglich ist. Die kann nur die Hohe Repräsentantin geben, die für alle 28 EU-Staaten spricht, kein nationaler Minister.

  Um auszuloten, wie ernst die scharfen Töne der Europäer gegen Moskau zu nehmen sind, die rund um die Ukrainefrage zu hören sind, schickt Vladimir Putin seinen Außenminister Lawrow aus: nach Brüssel, zum Außenministerrat der EU, der unter Ashtons Vorsitz tagt.

  Zähes Verhandlungsgeschick hat die Britin auch auf dem Balkan und gegenüber dem Iran bewiesen. Den Draht nach Teheran ließ sie selbst in den turbulenten Zeiten von Ex-Präsident Mahmoud Ahmedinejad nicht abreißen. Die neue Führung unter dem Reformer Hassan Rohani konnte auf diesen Kanal zurückgreifen, um mit den USA über das Einfrieren des Atomprogramms und die Lockerung der Sanktionen zu sprechen.

Voll ausgezahlt hat sich Ashtons Geduld bei der Normalisierung zwischen Serbien und dem Kosovo. Es bedurfte unzähliger Verhandlungsrunden. Aber im Frühsommer gaben einander der serbische Premier Ivica Dacic und der Regierungschef des Kosovo Hashim Thaci in Brüssel die Hand. Belgrad normalisiert seine Beziehungen zur einstigen Albanerprovinz. Ashton hat den Annäherungsprozess zwischen den ehemaligen Todfeinden orchestriert. Der Serbe Dacic war in der Zeit der Jugoslawienkriege Slobodan Milosevics Pressesprecher, einer der großen Kriegshetzer. Hashim Thaci hat damals die albanische Untergrundorganisation UCK aufgebaut. Er galt in Belgrad als Terrorist. Die Perspektive von Beitrittsverhandlungen in die EU und Ashtons diplomatische Hartnäckigkeit halfen die Gräben zu überwinden.

  Der plötzliche Höhenflug der EU-Politikerin zeigt, wie groß das Potential ist, wenn alle 28 EU-Staaten an einem Strang ziehen. Weder im Syrienkrieg noch in Nordafrika ist bisher vergleichbares gelungen. Vor allem, weil die geopolitischen Vorstellungen auseinander gingen. Deutschland hielt sich unbeweglich zurück, während Frankreich und Großbritannien zum Teil recht unüberlegt vorstürmten.

  Für die Ukraine brauchen die Europäer dringend ein geopolitisches Konzept. Der Disput zwischen Regierung und Opposition in Kiew um das Assozierungsabkommen mit der EU  ist nur die Oberfläche von viel tiefer liegenden Konfliktlinien. Selbst wenn es gelingt die gegenwärtige Krise zu entschärfen, was keineswegs sicher ist, kommen zu Armut, Unterentwicklung und autoritären Tendenzen die von außen geschürten nationalen Gegensätze. Einen derart giftigen Mix hat es das letzte Mal beim Zerfall des alten Jugoslawiens gegeben. Die unabhängige Ukraine ist ein Resultat des Zerfalls der Sowjetunion. Wird aus der Annäherung der Ukraine an die Europäische Union eine Zerreißprobe zwischen Moskau und dem Westen, dann kann es brandgefährlich werden.

  Die Ukraine darf vom Westen nicht als Aufmarschgebiet gegen Russland gesehen werden und von Russland nicht als halber Satellitenstaat. Andernfalls werden sich alle Pläne wirtschaftlicher Modernisierung und politischer Festigung als Illusion erweisen. Europäer, Russen und über die NATO auch die USA müssten zu einer sicherheitspolitischen Verständigung finden, die von Westeuropa bis Wladiwostok reicht. Als klassisches Brückenland wird die Ukraine nur als neutraler Staat einen festen Platz in der Völkergemeinschaft finden, so ähnlich wie einst Österreich oder Schweden im Kalten Krieg.

  Für einen solchen Wurf wird Ashtons Spielraum nicht ausreichen. Größere Visionen gibt es in der EU nur, wenn Anstöße aus den Mitgliedsstaaten kommen.  Frankreich ist mit Afrika beschäftigt, Großbritannien mit sich selbst. Bleibt Deutschland, das  in der Wirtschaftspolitik wie eine  Großmacht agiert, aber in der Außenpolitik als Zwerg. Frank-Walter Steinmeier, dem neuen Außenminister, wird ein Sensorium für russische Sorgen nachgesagt. Für die USA  war er als Kabinettschef von Kanzler Schröder während des NATO-Luftkrieges gegen Jugoslawien eine Schlüsselfigur.  Deutschland zu einer aktiveren Außenpolitik zu bewegen und mit den Europäern eine kohärente Linie gegenüber Russland und der Ukraine zu entwickeln, wird Steinmeiers größte Herausforderung sein.