Die Pandemie als Krieg Spezies gegen Spezies

  Das vierte  Lockdown hat Österreich international Schlagzeilen beschert. Inzwischen sind auch Nachbarstaaten zu radikalen Maßnahmen gezwungen. Mitteleuropa ist das Epizentrum der Infektion geworden.  Während die Infektionszahlen in Asien, Afrika und Lateinamerika stabil sind, steigt für Europa die Kurve steil an.

  Die Bedeutung der österreichischen Erfahrung geht über die Erkenntnis hinaus, dass Ex-Kanzler Kurz sich als Schaumschläger erwiesen hat. Die sich erneuernden Mutationen des Virus machen es wahrscheinlich, dass wir weltweit noch über Jahre mit Infektionswellen konfrontiert sein werden. Die Fähigkeit der Staaten die Gesundheit der Bürger zu schützen wird zu einem Prüfstein der miteinander konkurrierenden politischen Systeme. Die Auseinandersetzung über die  liberale Demokratie bekommt eine neue Dimension.

  Das Gegenmodell zum Pandemiedurcheinander des Westens ist die autoritäre Null-Covid-Strategie der Volksrepublik China. China macht aus dem Erfolg der eigenen Pandemieabwehr ein Politikum. Tatsächlich ist der Pendelschlag riesig. Zu Beginn der Infektion musste die Zentralregierung die 11-Millionenstadt Wuhan abriegeln. Die Vertuschungen ließen Kritiker vermuten, Covid 19 könnte zum Tschernobyl der Kommunistischen Partei werden. Der Atomunfall hatte den Niedergang der Sowjetunion eingeleitet. In China passierte das Gegenteil. Der durch die Kommunistische Partei straff gelenkte Staat setzt auf strenge Quarantäne, wiederholte Lockdowns und eine weitgehende Abschottung von außen. In den USA gibt es knapp 800 000 Corona-Tote. In den großen EU-Staaten sind es jeweils mehr als 100 000 Opfer. China weist 4600 an Corona Verstorbene aus, weniger als die Hälfte der knapp 12 000 Toten in Österreich.  Chinesische Statistiken sind nicht überprüfbar und sie gelten als wenig glaubwürdig. Der Unterschied der Corona-Toten zum Westen ist trotzdem riesig.

 Die Pekinger Tageszeitung Global Times, Sprachrohr des nationalistischen Flügels,  bläst propagandistisch ins Horn: das Konzept der Freiheit in Europa ist zum Hindernis der staatlichen Fürsorge geworden, liest man. Die Frustration mit wirtschaftlichem Niedergang und Inkompetenz der Regierungen schlage sich im Protest von Extremisten nieder. Europa macht sich über Chinas Null-Covid Politik lustig, donnert der Politikwissenschaftler Wang Yiwei der Renmin Universität in Peking, zahle jetzt aber einen hohen Preis für das eigene System der Herdenimmunität: „Europa strebt Freiheit, Gleichheit und Redefreiheit für alle an, bekommt aber nichts von alledem.“ Unter dem Deckmantel übertriebener Redefreiheit setzen sich Verschwörungstheorien  durch. Es sei das Mehrparteiensystem, mit  ständigen Regierungswechseln, Populismus und wirtschaftlicher Rezension, das die Bürger davon abhält sich an Vorgaben der Regierung zu halten.  Ohne eine starke politische Partei dominiert die kurzfristige Suche nach Vorteile und es fehlen langfristige Konzepte,  so die Botschaft der  Global Times aus Peking.

  Richtig: in halb Europa demonstrieren  Impfgegner und Corona-Verharmloser gemischt mit Rechtsradikalen. Es sind Zeichen der Verunsicherung und des Misstrauens gegen Staat und Gesellschaft. Was in der chaotischen Auseinandersetzung fehlt ist allerdings nicht die Polizei, die wie in China  Demonstranten einsperrt, sondern ein Konsens über die Aufgaben des  Staates in der pandemischen Notsituation.

 Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas, geistiger Wortführer der linksliberalen Denker Europas, zeichnet in der Zeitschrift  „Blätter für deutsche und internationale Politik“ eine weitreichende Pflicht zu staatlichen  Notmaßnahmen. In einer Gesundheitskatastrophe sei der Rechtsstaat verpflichtet die Zahl der an Corona Verstorbenen so niedrig wie möglich zu halten. Keine Regierung  habe das Recht „Politiken zu verfolgen, mit der sie eine wissenschaftlich vorhersehbare, aber nach menschlichem Ermessen vermeidbare Steigerung der Infektions- bzw. Sterbezahlen in Kauf nähme.“ Den Kampf gegen die Pandemie charakterisiert er als einen  Krieg  der Species homo sapiens gegen die Species Virus.

  Die kriegerische Vision des Jürgen Habermas führt nicht zur Diktatur. Sie macht aber klar, dass Staaten in einer medizinischen Notsituation verpflichtet sind, strikt durchzugreifen, um dem Chaos nicht freier Lauf zu lassen. Dazu gehören Impfpflicht, Maskenregeln und wenn nötig Lockdowns. Die chinesische Einparteienherrschaft ist kein Vorbild, aber in der Krise muss der demokratische Staat seinen Verpflichtungen nachkommen. Chaotisches Krisenmanagement drohen  ab einem gewissen Punkt zum Ruf nach dem starken Mann zu führen. Nicht das konsequente Durchsetzen gesundheitspolitischer Regeln gefährdet die Demokratie, sondern der Kontrollverlust in einer Gesundheitskatastrophe, die sich  über Jahren ziehen wird.

ZUSATZINFORMATIONEN

Wie gefährlich die neue Virusvariante Omikron ist, ist noch nicht klar, die Übertragung ist um vieles schneller als bei bisherigen Mutationen. Die Weltgesundheitsorganisation warnte bereits Anfang November vor einem Aufleben der Pandemie in Europa. Die Regierungen sahen weg. Bis ins Frühjahr fürchtet die WHO 700 000 zusätzliche Corona-Tote.

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