Die Große Koalition in Deutschland wäre eine Chance für Europa

Das große Aufatmen in Europa hat nicht lange gehalten. Die Große Koalition in Deutschland wird zwar bei Christdemokranten und Sozialdemokraten von der Führung gewünscht. Aber die rebellische Grundstimmung in der Bevölkerung ist ein Unsicherheitsfaktor in der SPD. Am kommenden Wochenende muss das Koalitionspapier von einem Parteitag gutgeheißen werden. Dann kommen die eigentlichen Regierungsverhandlungen. Über den Pakt werden die SPD-Mitglieder abstimmen, so verlangt es die innerparteiliche Demokratie. Ein Debakel für Martin Schulz würde der Zuversicht, die sich in der EU gerade breit macht, schlagartig ein Ende bereiten.
Die Jungsozialisten mobilisieren gegen den Deal. Die SPD darf nicht dauerhaft zur Mehrheitsbeschafferin für Angela Merkel werden, lautet das Hauptargument des Juso-Chefs Kevin Kühnert. Die inhaltliche Kritik am Koalitionspapier fällt weniger ins Gewicht.
Dass mit CSU/CDU bei einer rechten Mehrheit im Land keine Erhöhung des Spitzensteuersatzes möglich ist, kann nicht überraschen. Dafür haben die Sozialdemokraten im Pensionssystem Verbesserungen für sozial Schwache durchgesetzt. Die Obergrenze für Flüchtlinge, die in verklausulierter Form mit 180 000 bis 220 000 angestrebten Zuwanderern festgelegt ist, gilt den Kritikern als Umfaller der SPD. Aber das Menschenrecht auf Asyl wird bestätigt. Die humanitäre Haltung, die Merkel und Faymann in der Notsituation 2015 praktiziert haben, ist aufrecht. Höchstens in Extremsituationen könnte es zwischen Asylrecht und Obergrenze zu einem Widerspruch kommen. Gegenwärtig gehen die Flüchtlingszahlen zurück.
Aus österreichischer Sicht fällt auf, dass die deutschen Großkoalitionäre staatliche Flüchtlingszentren errichten wollen, mit beschränkter Bewegungsfreiheit der Asylwerber. Ähnliches steht im ÖVP-FPÖ-Abkommen in Wien. In Deutschland halten sich die Proteste in Grenzen, was die Vertreter von Schwarzblau als unfair empfinden. Allerdings fehlt in Deutschland die ideologische Antiausländerhaltung der österreichischen Koalition. „Stolz“ bekennen sich CDU, CSU und SPD zur Integrationsleistung Deutschlands. „Wir wollen die Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge“, liest man wörtlich. Die Schwarzblau in Wien vermittelt den umgekehrten Eindruck. Mit der FPÖ samt ihren rechtsradikalen Verbindungen in der Regierung werden international strenge Maßstäbe angelegt. Wundern sollte man sich darüber nicht.
Das österreichische Koalitionsabkommen beschränkt die Europapolitik auf proeuropäische Versicherungen und ein Bekenntnis zur Subsidiarität. Subsidiarität ist ein wohlklingendes Codewort für weniger Europa, wenn die Nationalstaaten auf Geld und Macht beharren..
In Deutschland macht die Europapolitik den Kern des Regierungsplanes aus. Die EU ist der Kitt, der die potentiellen Koalitionäre verbindet, so wie die Antiausländerpolitik Schwarzblau in Österreich. Die Union wird mehr kosten, wenn der Nettozahler Großbritannien austritt, verkünden die Sondierer. Die von Martin Schulz ins Spiel gebrachten Vereinigten Staaten von Europa sind das nicht. Aber Eurobudget, Eurofinanzminister, das alles sind Kernfragen für Europa. Der französische Visionär Macron hätte ein Gegenüber, mit dem Lösungen möglich sind.
Anders als bei dem draufgängerischen Franzosen fehlen in Deutschland die zündenden Ideen. 2019 stehen Europawahlen bevor. Deutschland könnte gemeinsam mit Frankreich europäische Kandidaten ermöglichen, als Schritt in Richtung politischer Vereinigung. Der Sozialstaat gehört zur Identität der Europäer. Ein europäisch abgesichertes soziales Netz, mit einer Europäischen Arbeitslosenversicherung und EU-Kindergeld, wird in Brüssel seit langem diskutiert. Die GroKo-Sondierer trauen sich nicht darüber. Ein Schwachpunkt angesichts der Offensive linker und rechter Populisten, die in der Renationalisierung ihr Heil suchen.
Die Kritiker in der SPD glauben an einen Linksruck, wenn die GroKo scheitert. In Wirklichkeit bekämen rechte und linke Nationalisten Oberwasser. Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine, den streitbaren Vordenkern, schwebt eine linke Volkspartei nach dem Vorbild des französischen Demagogen Jean-Luc Melenchon vor. Zuwanderer und Brüssel als Feindbilder der Linken, das bedeutet: man will bei der reaktionären Welle mitnaschen, anstatt sich dem Nationalismus entgegen zu stellen.
Scheitert die Allianz zwischen Merkel und Schulz würden sich die Zerfallstendenzen des Kontinents verstärken. Es wäre Merkels politisches Ende. Neuwahlen in Krisenstimmung brächten der AfD einen Höhenflug nach dem Vorbild der FPÖ. Europa wäre einer schwer angeschlagenen bürgerlichen Mitte überlassen. Ziemlich viel Verantwortung für die deutschen Sozialdemokraten.

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