Autoritäre Nationalisten in Asien, Europäische Rundschau 1/19

Ein Blick auf die Dynamik der politischen Entwicklung Ostasiens zeigt widersprüchliche Tendenzen. Auf eine Phase der Demokratisierung vor der Jahrtausendwende folgte eine Welle der starken Männer. Alle Großmächte der Region werden heute von autoritären Nationalisten geführt. Trotz markiger Sprüche erweisen sich Präsidenten und Regierungschefs jedoch als pragmatischer, als skeptische Beobachter befürchtet haben.
In China hat Präsident Xi Jinping den Aufstieg zur Supermacht zum erklärten Ziel der aktuellen Etappe des sozialistischen Aufbaus gemacht. Die Kommunistische Partei ist so stark auf die Person des Staatsführer konzentriert, wie seit den Zeiten Mao Zedongs nicht mehr. Der japanische Premier Shinzo Abe kommt aus dem nationalistischen Flügel der konservativen, liberaldemokratischen Regierungspartei. Die Veränderung der aus der Nachkriegszeit stammenden pazifistischen Verfassung ist seit Jahren sein Ziel. Japan soll die Möglichkeit bekommen militärisch mit dem aufsteigenden China mitzuhalten. In Indien hat der Hindu-Nationalismus von Premier Narendra Modi den Laizismus der Kongresspartei an der Staatsspitze abgelöst. Religiöse Minderheiten wie Moslems oder Christen klagen über den wachsenden Druck radikaler Hindus, die durch Modis BJP ermutigt werden.
Zu einem spektakulären Beispiel einer aufsteigenden Flut populistischer Demagogen sind die Philippinen geworden. Bei den Präsidentschaftswahlen 2016 setzte sich der langjährige Bürgermeister der Stadt Davao City, Rodrigo Duterte, gegen die Kandidaten der Eliten durch. Dutertes Markenzeichen sind wüste Beschimpfungen und sexistische Ausfälle. Viele seiner Berater kommen allerdings aus der Linken. Ziel der Beleidigungen sind die USA und die Europäische Union, die von Manila die Einhaltung der Menschenrechte einfordern. In Davao hatte Duterte mit Hilfe von Todesschwadronen kriminelle Gangs zurückgedrängt. Als Präsident ermutigt er die Polizei zu einem gewaltsamen Vorgehen gegen vermeintliche oder echte Drogendealer. Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen hat der brutale Antidrogenkrieg auf den Philippinen bis zu 12 000 Tote gefordert. Seinen Anhängern aus dem einfachen Volk gefällt das autoritäre Gehabe des Präsidenten. Meinungsumfragen registrieren Zustimmungswerte für Duterte von über 70 Prozent.
Trotz der nationalistischen Rhetorik hat sich zwischen den führenden Nationalisten Ostasiens eine erstaunliche friedliche Koexistenz etabliert. Mit China suchen die Philippinen unter Duterte die Verständigung. Wegen Kritik an den Menschenrechtsverletzungen im Drogenkrieg, hatte Duterte die USA unter Obama, die Europäische Union und die UNO zu seinen Außenfeinden erklärt. Als ehemalige Kolonie der USA sind die Philippinen mit Amerika traditionell eng verbunden. Erst mit Donald Trump haben sich die Beziehungen zwischen Manila und Washington wieder verbessert, weil die beiden Herren ihre Seelenverwandtschaft entdeckt haben. In den Medien lässt sich der philippinische Caudillo als „Trump des Ostens“ feiern.
Gegenüber Chinas Präsident Xi Jinping gibt sich der sonst stets polternde Duterte ungewöhnlich freundlich. Parallel zur Absetzbewegung von den USA setzte eine Annäherung der Philippinen an die Volksrepublik China ein. Beim Besuch in Peking 2016 erklärte sich Duterte zum Anhänger der chinesischen Ideologie und kündigte den USA die Freundschaft auf. Die Philippinen wollen gemeinsam mit China Öl und Gas fördern. Auf die Spannungen im Südchinesischen Meer hat sich der prochinesische Kurs Manilas beruhigend ausgewirkt. Die Philippinen waren traditionell gemeinsam mit Vietnam die schärfsten Kontrahenten Chinas unter den Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres. Die USA beschuldigen Peking die internationalen Gewässer militärisch unter Kontrolle bringen zu wollen und zeigen sich entsetzt über den prochinesischen Kurs des philippinischen Präsidenten.
Nach Jahren heftiger Auseinandersetzungen sucht auch der japanische Premier Shinzo Abe die Verständigung mit China. Sein ursprüngliches Ziel, die japanische Verfassung, die es Japan eigentlich verbietet Streitkräfte zu unterhalten, völlig umzuschreiben ist in den Hintergrund getreten. Shinzo Abe begnügt sich vorläufig mit einer neuen Verteidigungsstrategie, die den Handlungsspielraum der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte erweitert. Die völlige Streichung des bei den Nationalisten verhassten Artikel 9 der japanischen Verfassung, in dem Japan auf Krieg als Mittel der Politik verzichtet, ist in der Bevölkerung unpopulär.
Wegen eines Streits um die Souveränität einer unbewohnten Inselgruppe im ostchinesischen Meer war es in China 2012 zu gewaltsamen antijapanischen Protesten gekommen. Die unwirtlichen Felsen werden in Japan als Senkaku-Inseln und in China als Diaoyu Inseln bezeichnet. Mit einer martialischen Militärparade am Tiananmen Platz feierte die chinesische Führung 2015 den 70. Jahrestag des Sieges über Japan. Drei Jahre später, im Herbst 2018 besucht Shinzo Abe die chinesische Hauptstadt. Japan und China verkünden einen Neuanfang in den Beziehungen zwischen den historischen Rivalen.
Einer der Gründe, warum die starken Männer Asiens vorsichtig miteinander umgehen, liegt ein paar tausend Kilometer weiter westlich, in Washington DC. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die USA der Garant für Sicherheit und Berechenbarkeit im pazifischen Raum. Unter Donald Trump destabilisiert die Supermacht die Region. Im Wahlkampf hatte Trump einen Rückzug des amerikanischen Militärs aus Ostasien propagiert. Japan soll sich selbst verteidigen und Südkorea könnte Atomwaffen bauen, um der Bedrohung aus dem Norden zu begegnen, ließ er die Anhänger wissen. Kaum im Weißen Haus, ordnete Trump den Ausstieg der USA aus dem Pazifischen Freihandelsabkommen an, das zur Eindämmung Chinas gedacht war. Nordkoreas Kim Jong Un drohte Trump mit einem atomaren Schlag. Wenige Monate später schloss er Freundschaft mit dem Diktator. Regierungsvertreter aus Washington, allen voran Verteidigungsminister James Mattis, versicherten während der vergangenen zwei Jahr zwar stets, dass die USA bei aller Unberechenbarkeit des Präsidenten am bestehenden Bündnissystem nicht rütteln wollen. Der spektakuläre Abgang von Mattis Ende 2018 hat diese Garantieerklärungen jedoch entwertet. Man weiß allzu gut, was Trump unter der Devise „America First“ schon alles erwogen hat. Jede Regierung Asiens muss darauf gefasst sein, durch eine plötzliche Kertwende aus Washington die eigene Sicherheit in Frage gestellt zu sehen.
Die amerikanischen Verhandlungen mit Nordkorea haben nach den atomaren Drohungen von 2017 zu allgemeinem Aufatmen in der Region geführt. Die Kriegsgefahr auf der koreanischen Halbinsel scheint schlagartig verschwunden. Aber Trump ist im Alleingang auf Kim Jong un zugegangen. Ein konkreter Plan zur nuklearen Abrüstung auf der koreanischen Halbinsel ist ausgeblieben. Die Entspannung zwischen Washington und Pjöngjang kann leicht ein abruptes Ende finden.
In den USA setzt sich parteiübergreifend die Vorstellung durch, dass Amerika China als gefährlichsten Rivalen in die Schranken weisen muss. Der persönliche Draht, den Xi Jinping zu Donald Trump aufgebaut hat, ist brüchig. Die wachsende Konkurrenz zwischen den USA und China wird primär in Ostasien ausgetragen. Wenn die Elefanten kämpfen, wollen wir nicht das Gras sein, zitiert der philippinische Botschafter Zhito Sta.Romana in Peking ein bekanntes Sprichwort. Auf Instabilität Made in USA reagieren die Nationalisten der Region mit vorsichtiger Zurückhaltung.
Auch innenpolitische Faktoren begrenzen den Höhenflug der starken Männer. Autoritäre Politiker prägen zwar das politische Leben der meisten Länder Ostasiens. Aber dort, wo es in den 80er und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Demokratie im Vormarsch war, konnten sich viele demokratische Errungenschaften halten.
Ein erstaunliches Beispiel ist Malaysia. In dem mehrheitlich islamischen Staat in Südostasien hatte 2018 die seit 60 Jahren regierende Staatspartei des autoritären Regierungschefs Rajib Nazak erstmals Parlamentswahlen verloren. An der Spitze des erfolgreichen Oppositionsbündnisses stand der 92-jährigen Ex-Premiers Mahatir Bin Mohamad. Mahatir hatte in seiner Regierungszeit zwar ebenfalls politische Gegner einsperren lassen, versprach dem Land jedoch jetzt eine Phase der Demokratisierung.
Der gestürzte Rajib Nazak hatte in den vorangegangenen Jahren um seinen Politclan ein autoritäres Patronanzsystem aufgebaut. Der Einfluss islamistischer Prediger nahm zu. Buddhistische, christliche und hinduistische Minderheiten kamen unter Druck. Der Spielraum der unabhängigen Presse schwand. Korruption war in Malaysia immer ein riesiges Problem. Unter Rajib Nazak wurden die korrupten Praktiken auf die Spitze getrieben.
Symbol für die Misswirtschaft unter dem früheren Premierminister in Malaysia ist der sogenannte 1MDP-Skandal. 1MDP steht für 1Malaysia Development Berhad, so lautet der Name eines staatsnahen Fonds, der vom Regierungschef kontrolliert wurde. 680 Millionen Dollar landeten auf einem Privatkonto des damaligen Premierministers. Die Finanzbehörden der USA und der Schweiz ermittelten. In Malaysia sprach die gelenkte Justiz den Regierungschef von jeder Schuld frei. Die Medien mussten schreiben, dass die ominösen Gelder aus der Spende eines unbekannten saudischen Prinzen stammen.
Wahlen konnte Rajib Nazak jedoch nicht abschaffen und 2018 kam der Wechsel. Wenige Wochen nach seiner Wahlniederlage wurde Ex-Premier Rajib Nazak festgenommen. Der staunenden Öffentlichkeit präsentierte der Polizeichef von Kuala Lumpur, was man bei den Hausdurchsuchungen in den verschiedenen Privathäusern des ehemals mächtigsten Mannes des Landes gefunden hatte: 423 teure Uhren, 567 Handtaschen, 1400 Ketten, 1600 Broschen und Bargeld im Wert von 273 Millionen US-Dollar. Malaysia ist fern davon, eine stabile Demokratie zu sein. Aber das malaiische Mehrparteiensystem begrenzt autoritäre Versuchungen.
Für China sind Machtwechsel wie in Malaysia in der Nachbarschaft eine Herausforderung. In der Regierungszeit Rajib Nazaks hatte sich Malaysia verstärkt auf Peking orientiert. Die Antikorruptionsmaßnahmen in den USA und Westeuropa wurden als westliche Verschwörung gegen ein islamisches Land Südostasiens denunziert. Chinesische Investoren strömten nach Malaysia. Die Regierung plante einen Hochgeschwindigkeitszug von Kuala Lump nach Singapur, der von chinesischen Firmen gebaut werden sollte. Nachfolger Mahatir stoppte das Projekt. Der neue Regierungschef, ein alter Fuchs der asiatischen Politik, wehrt sich gegen Investitionen, die Malaysia durch Verschuldung zum chinesischen „Klientelstaat“ machen würden. Als einer der wenigen asiatischen Spitzenpolitiker warnt der greise Premierminister vor einer Entwicklung zum Totalitarismus in China unter Xi Jinping.
Dramatisch verbessert hatte die Volksrepublik China schon in den letzten fünf Jahren ihre Beziehungen zu Thailand. Thailand war historisch ein Verbündeter der USA. In den Indochinakriegen des 20.Jahrhunderts hielten die Thais den Amerikaner für ihre Operationen gegen die Nordvietnamesen den Rücken frei. 2014 übernahmen in Bangkok die Militärs die Macht und Peking bekam seine Chance. Der neue starke Mann in Thailand wurde General Prayut Chan-o-cha. Der Chef der thailändischen Militärjunta leitete der nach eher verhaltener Kritik aus den USA und Europa eine Phase der Entfremdung Thailands vom Westen ein. Parallel eröffnete Prayut chinesischen Baufirmen Tür und Tor. Fragen nach den Menschenrechten gibt es aus Peking keine. Dissidenten, die in Thailand Zuflucht gefunden hatten, wurde nach China abgeschoben. Aber 2019 scheint den Militärs die Luft langsam auszugehen. Juntachef Prayut will erstmals seit Jahren wieder wählen lassen. Die von den Militärs umgeschriebene thailändische Verfassung wird der Generalität auch in Zukunft entscheidenden Einfluss geben. Aber eine Vielfalt politischer Parteien, selbst wenn deren Spielraum begrenzt bleibt, könnte das Machtmonopol der Militärs beschränken. Die Zeit der Alleinherrschaft des Juntachefs Prayut neigt sich dem Ende zu. Eine mögliche Machtverschiebung in Bangkok wird auch die neue Freundschaft zu China auf die Probe stellen.
Das britische Wochenmagazin Economist rechnet vor, dass 2019 ein Drittel der Weltbevölkerung vor freie Wahlen stehen werden, darunter hunderte Millionen Bürger in Indien und Indonesien. Indiens nationalistische Regierungspartei BJP gibt sich siegesgewiss. Aber bei Regionalwahlen 2018 war die bereits tot gesagte Kongresspartei erfolgreich. Regierungschef Narenda Modi wird um eine zweite Amtszeit kämpfen müssen. In Indonesien hat der liberale Präsident Joko Widodo gute Chancen den Ansturm von mit den Militärs verflochtenen islamistischen Extremisten abzuwehren. Solange politischer Pluralismus erhalten bleibt und Wahlen nicht abgeschafft sind, können Angriffe auf die Demokratie abgewehrt werden und sitzt kein autoritärer Herrscher dauerhaft fest im Sattel.
Der Rahmen für die asiatische Entwicklung ist jedoch durch das globale Spannungsverhältnis zwischen US-Präsident Donald Trump und Chinas Präsident Xi Jinping gesetzt. Xi will die Position Chinas als Führungsmacht für Asien festigen. Amerika sieht in den chinesischen Ambitionen eine Gefahr für seine Stellung als alleinige globale Supermacht. Für Asien wird die Dynamik zwischen den starken Männern in Washington und Peking entscheidender sein, als die autoritären Nationalismen der Region selbst.