20 Jahre nach 9/11 endet der Antiterrorkrieg im Debakel von Kabul

  Der Krieg gegen den Terrorismus, den George W.Bush 2001 nach den Angriffen des 11.September ausgerufen hat, findet dieser Tage in einem Desaster des Westens sein Ende. 9/11 ist von Al Kaida auf afghanischem Territorium ausgegangen. Die Taliban waren die ersten Ziele des amerikanischen Gegenschlages. 20 Jahre später sind die Islamisten die Sieger im Kampf um Afghanistan.  

  Die Selbstmordanschläge mit  Passagiermaschinen gegen das World Trade Center und das Pentagon 2001 hatten der Welt vor Augen geführt, wie verwundbar die USA  gegen die hybride Kriegsführung hochmotivierter Terrorgruppen sind. Das Comeback der Gotteskrieger und die panikartige Flucht der Verbündeten Amerikas am Hindukusch nach zwei Jahrzehnten des Antiterrorkrieges belegen, wie verheerend sich die Supermacht verrannt hat.

  9/11 löste eine Welle der Solidarität mit den USA aus. Wir sind alle Amerikaner war die Parole. Die NATO erklärte den Bündnisfall. Russland und China stellten sich an die Seite der angegriffenen Weltmacht. Die Invasion Afghanistans ist von der internationalen Staatengemeinschaft unterstützt worden. Sogar Saudi Arabien applaudierte, heilfroh, dass die saudischen Staatsbürgerschaft der meisten Attentäter von 9/11 im Hintergrund blieb. Mit ihren Kriegen seither haben die US-Administrationen dieses Potential verspielt. Das Debakel gegen die Taliban erschüttert die imperiale Stellung der USA in der Welt, ermutigt alle Gegner und schürt Misstrauen zwischen den westlichen Verbündeten.

Die  Taliban haben 2001 ihren Sturz riskiert, weil sie sich weigerten Osama Bin Laden und seine globale Dschihadistenorganisation Al Kaida auszuliefern. Der charismatischer Gotteskrieger aus einer großen saudischen Familie ist tot. Al Kaida ist ein Schatten seiner selbst. Ihre Territorien in Syrien und dem Irak haben die Dschihadisten verloren. Afghanistan gehört jedoch zu den Gebieten, in denen dschihadistische Fraktionen neue Kräfte sammeln, auch wenn die Organisationen untereinander verfeindet sind. Der Triumph der Taliban  gibt den Dschihadisten weltweit neuen Auftrieb.

 Die Kontrolle der  Taliban über Afghanistan seit dem Fall von Kabul am 15. August ist vollständiger, als je zuvor. 2001 konnten sich die Amerikaner auf die Verbündeten der  Nordallianz stützen, die einen Teil des Landes beherrschten. Jetzt ist die gesamte Region fest in der Hand der Islamisten. Die Taliban hatten alles strategisch vorbereitet. Zug um Zug sind die Provinzhauptstädte zur Übergabe gebracht worden. Es fielen fast keine Schüsse. Die Lokalgrößen waren schon im Vorfeld gekauft worden.  Nur das kleine Panjirtal leistet noch Widerstand.

  Den neuen Herrschern fielen große Mengen modernen amerikanischen Kriegsgeräts in die Hände. Die übergelaufenen afghanischen Armeeangehörigen sind auf US-Waffen ausgebildet. Wenn die Taliban unter Mullah Abdul Bhani Baradar, dem letzten Überlebenden der Gründergeneration,  in den nächsten Monaten keine groben Fehler macht, wächst  am Hindukusch die stärkste islamistische Armee heran, die es je gab. Mit Soldaten, die für Milliarden Dollar von den USA trainiert wurden. Der britische Economist zitiert den Militärexperten Mike Martin vom King’s College in London,  der von der erfolgreichsten hybriden Kriegsführung einer Guerillaorganisationen seit Jahrzehnten spricht.

 In der früheren Regierungszeit von 1996 bis 2001 waren die Taliban international  isoliert. Die barbarische Interpretation der Scharia und das interne Zwangsregime gegen Frauen, basierende auf paschtunischen Stammestraditionen,  hatte das  Emirat in Verruf gebracht.  Jetzt ist die Situation völlig anders. Die  USA haben in aller Form mit den Terroristen von einst den  Abzug  ausgehandelt. In Peking, Moskau und bei einer wachsenden Zahl von Nachbarstaaten werden die Taliban als Gesprächspartner akzeptiert.

  Die Europäer sind empört, weil sie in die Verhandlungen genauso wenig  eingebunden waren wie die inzwischen aufgelöste afghanische Regierung. In Peking höhnt die nationalistische Parteizeitung Global Times, die Flucht der USA aus Afghanistan  sei ein Omen für  Taiwan. Die chinesische Inselstaat kann sich der amerikanischen Unterstützung im Fall einer Invasion der Volksrepublik nicht sicher sein.

   Gibt es so etwas wie Schlussfolgerungen aus dem Desaster des amerikanischen Antiterrorkrieges? Attentäter sind durch Einsätze von Polizei und  Geheimdiensten auszuschalten.  Aus einer Polizeiaktion einen militärischen Krieg gegen den Terror, gegen den politischen Islam oder sonstige politische Feindbilder zu machen, ist dagegen  eine verhängnisvolle Fehlentwicklung. Imperiale Eingriffe lösen den Widerstand aus, der auch reaktionären Obskurantisten zu Siegen verhilft, wie gerade in Afghanistan demonstriert wird.

ZUSATZINFOS

Von 2001-2021 haben 750 000 amerikanische Soldaten in Afghanistan Dienst getan. 2450 Amerikaner sind im Militärdienst gefallen. 170 000 afghanische Soldaten, Kämpfer der Taliban und Zivilisten wurden in dieser Zeit Opfer des Krieges oder von Terroranschlägen.

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