Die Mehrheit findet in Österreich das Burkaverbot gut, das jetzt wirksam ist. Ich bin anderer Meinung, weil ich Bekleidungsvorschriften durch den Staat grundsätzlich für einen Rückschritt halte. Ich habe beim Beginn dieses Verbotstrends, der in Westeuropa seinen Anfang genommen hat, versucht darzulegen, warum die Europäer möglichst bald aufhören sollten Frauen vorzuschreiben, was sie anziehen dürfen und was nicht, und stelle diese Argumente nochmals zur Diskussion.
Das Burkaverbot steht in der Tradition ähnlicher Schritte in anderen EU-Staaten. Konkret trifft es in Österreich nur wenige Touristinnen aus konservativen arabischen Staaten, liest man alleseits. Mag sein. Aber dass eine Mehrheit einer Minderheit von Frauen vorschreibt, was sie anziehen dürfen und was nicht, ist problematisch. Für den Westen sind Bekleidungsvorschriften des Staates für Frauen etwas Neues. Die Debatte hat vor Jahren in Frankreich und Belgien begonnen, als Europa begann sich vor ein paar hundert Burkafrauen zu schrecken.
Knapp 2000 Trägerinnen des exotischen Ganzkörperschleiers gibt es laut Schätzungen des Geheimdienstes in Frankreich. Auf Dänemarks Straßen sind es 200. Ähnlich minimal ist in Belgien, den Niederlanden oder anderen europäischen Ländern die Zahl jener Frauen, die sich durch Burka, Niqab oder ein anderes je nach lokaler Tradition oder religiöser Sekte unterschiedliches Gewand vor fremden Männerblicken schützen wollen. In Österreich sind die Zahlen noch geringer.
Ein Massenphänomen sind Totalschleier nur in wenigen – von religiösen Ultras und Stammestraditionen geprägten – Teilen der islamischen Welt, darunter in Afghanistan, in den pakistanischen Stammesgebieten, in Somalia oder Mauretanien. In Europa stehen Körperschleier für eine winzige Minderheit in der Minderheit.
Was Linke und Rechte quer über den Kontinent allerdings nicht daran hindert, mit dem schwersten aller Geschütze aufzufahren: der Forderung nach einem Verbot der Burka zumindest in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln. In Österreich gilt das Verbot auch auf jedem Gehweg und jeder Straße. Der Staat verbietet ein Kleidungsschritt. Eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen, aus welchem Grund auch immer die gefällt wird, ohne jede Not.
Der Burkaausschuss der dänischen Regierung ist zum Schluss gekommen, dass die Hälfte der Burkaträgerinnen Konvertiten sind, die einen demonstrativen Bruch mit ihrer westlichen Herkunft vollziehen wollen. Das Stereotyp vom islamistischen Mann, der seine Frau zum Ganzkörperschleier zwingt, findet die belgische Soziologin Tülay Umay durch die Empirie nicht bestätigt. Meist entscheiden sich Frauen in Europa individuell für die Burka. Oft gegen den Willen der integrationsbereiteren älteren Generation.
Zwei Monate lang hat die Soziologin Agnes De Feo 2005 für Le Monde totalverschleierte Frauen begleitet. Der Schwenk zur Verhüllung war häufig die Folge eines mystisch-religiösen Protests gegen eine als feindlich empfundene Umwelt. Christen tauchen manchmal in Sekten ab, Juden werden ultraorthodox, Jugendliche durchstechen sich Nase und Wange. Die Wege individueller Heilssuche in Randgruppen sind vielfältig, oft verrückt und nicht selten verstörend. Sie zuzulassen bedeutet noch lange nicht, dass man sie gutheißt oder nichts dagegen unternimmt. Eine liberale Gesellschaft macht aber daraus keine Staatsaffäre. Und dass die Regierung ihren Bürgern vorschreibt, welche Kleider sie tragen dürfen und welche nicht, das mag im China Mao Tse-tungs oder unter den Taliban üblich gewesen sein. Im Westen hält sich der Staat seit Beginn der Aufklärung aus solchen Fragen glücklicherweise heraus.
Scheinbar geht es um Frauenrechte. „Sie wollen uns also ins Gefängnis stecken, um uns zu befreien?“, fragte eine eloquente radikalislamische Aktivistin in der spätabendlichen „Newsnight“ der BBC. Tatsächlich: Frauen elementare Rechte zu verweigern, wie die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, den Gang zum Bezirksamt, den Spitalsbesuch oder auch die Staatsbürgerschaft, nur weil sie die Burka tragen, würde in jedem anderen Zusammenhang als schändlicher Anschlag auf Freiheit und Demokratie gelten.
In Wirklichkeit geht es um Antiislamismus und die Ängste vor dem Unbekannten. Damit glauben Politiker leichter zu punkten, als durch konkrete Integrationsschritte, die Einwanderungsgesellschaften dringend brauchen.
Die praktischen Einwände gegen ein Verbot kommen aus Schweden: Regierung und Opposition lehnten 2010 eine Illegalisierung als kontraproduktiv ab, schließlich dürfe man diese Frauen nicht noch mehr marginalisieren. Man kann auch gegen die Burka als Symbol archaischer Geschlechtertrennung sein, ohne deshalb Frauen durch Verbote zu diskriminieren.
Der Philosoph Michel Foucault hat dafür plädiert, eine Gesellschaft danach zu beurteilen, wie sie mit Außenseitern umgeht. Die martialischen Töne gegen die winzige Anzahl von Burkaträgerinnen, nur um mit der populistischen Antiislamwelle schwimmen zu können, stellen Europas politischem Mainstream und den österreichischen Gesetzgebern kein gutes Zeugnis aus. Wenn die Welle des Ressentiments einmal abgebbt ist, wird man über diese Regel einmal den Kopf schütteln.
Vielleicht hilft es beim Überdenken, dass man nach der neuen Gesetzeslage im Alpenland nicht mehr in Schimaske und Schimütze über den Stephansplatz gehen dürfte. Und dass Atemschutzmasken, die in Asien so alltäglich sind, wie Handschuhe bei uns, im liberalen Österreich nur erlaubt sind, wenn eine Behörde Smogalarm gibt.