Zehntausende Arbeiter des größten Schuhfabrikanten der Welt, der taiwanesischen Firma Yue Yuen, haben seit Anfang vergangenen Monats die Arbeit verweigert. In mehreren Städten kam es trotz der Verhaftung führender Aktivisten zu Massendemonstrationen. Die riesigen Schuhfabriken in Südchina beliefern unter anderem die internationalen Marken Nike, Reebok und Adidas.
Seit dem Lohnstreik bei dem Apple Zulieferer Foxconn vor zwei Jahren hat es keinen annähernd so harten Arbeitskampf mehr gegeben. Bemerkenswert war auch der Auslöser: die Arbeiter werfen der Firma vor, jahrelang zu wenig Sozialabgaben bezahlt zu haben. Im Zentrum steht die Angst, dass die Pensionen der heute 30 oder 40Jährigen wegen der zu geringen Einzahlungen zum Überleben zu klein sein werden.
Dass eine ganze Belegschaft im kommunistischen Land des kapitalistischen Hire and Fire für ein besseres Sozialsystem streikt, zeugt vom wachsenden Selbstbewusstsein der Arbeiterschaft. Die Firmen können nicht mehr mit unerschöpflichem Arbeitskräftenachschub vom Land rechnen. Das verbessert das Kräfteverhältnis im Klassenkampf.
Die Zentralregierung in Peking hat nach einigem Zögern die Vorwürfe bestätigt, und sich damit gegen die Lokalbehörden gestellt, die an der Festsetzung der niedrigen Sozialabgaben beteiligt waren. Ab Mai werden die Pensionseinzahlungen des Schuhmultis Yue Yuen erhöht. Die erhoffte rückwirkende Korrektur konnte die Belegschaft nicht durchsetzen.
Bis zu 400 Millionen Menschen sind durch die rasante wirtschaftliche Entwicklung Chinas aus bitterer Armut befreit worden. Ein großer Teil ist in großen Fabrikshallen gelandet, die als Werkbank der globalisierten Weltwirtschaft funktionieren. Dazu kommt eine wachsende Mittelschicht, für die die internationalen Konzerne gigantische Shopping Malls bis in die tiefste Provinz des Riesenreiches errichten.
Dieses Entwicklungsmodell erreicht jetzt seine Grenzen. Die Arbeiterschaft kämpft um ein größeres Maß an Sicherheit. Die Kosten für die Unternehmen steigen. Nike will nach dem Streik seine Produktion verlagern. Und die gesamte Gesellschaft spürt den ökologischen Preis der Entwicklung, für die der undurchdringliche Smog über riesigen Gebieten Nordostchinas das spektakulärste Symbol ist.
Der Hochgeschwindigkeitszug legt die 1300 Kilometer von Shanghai nach Peking in fünf Stunden zurück. In sechs Jahren werden alle chinesischen Großstädte durch dieses Netz verbunden sein. Bei einer Geschwindigkeit von 300 Stundenkilometer ziehen alle paar Minuten städtische Siedlungen vorbei, in denen sich Wolkenkratzer an Wolkenkratzer fügen. Die Medien klagen über Baumängel, Spekulation und Fehlentwicklungen. Aber die Eltern der Menschen, die hier wohnen, waren häufig so arm, dass sie sich keine Seife leisten konnten.
Für die Regierung in Peking ist schon die Verlangsamung des Wachstums auf jetzt 7,7 Prozent Anlass zur Sorge. Über die Folgen eines ernsthaften Kollaps, mit geplatzten Immobilienblasen und taumelnden Banken, den Experten der französischen Societe Generale 2014 für durchaus möglich halten, kann man nur spekulieren. Schon die Halbierung des Wachstums wäre eine gesellschaftliche Katastrophe.
Ein wachsender Teil der Eliten wendet sich überhaupt vom Leben in dem ökologisch verwüsteten Land ab: Familien, die Geld haben, schicken die jungen Leute zum Studium in die USA oder nach Europa. Dort sind sie vom krank machenden Stress der chinesischen Ausbildungsstätten befreit.
Es ist eine gesellschaftliche Umbruchsituation mit hohem Konfliktpotential. Die Welt hat sich daran gewöhnt, dass in Peking autoritäre Führer regieren, die nur die Selbstbereicherung der eigenen Gesellschaft bewegt. Dieses Bild verblasst und in den asiatischen Nachbarstaaten steigt die Sorge vor einer politischen Kraft, die sich bisher nur verhalten bemerkbar gemacht hat: dem Nationalismus des aufsteigenden Chinas.
Der kommunistischen Führung fehlt paradoxer Weise das Know How, mit den Krisenzyklen des Kapitalismus umzugehen und Konsequenzen aus den aufsteigenden Klassenkämpfen zu ziehen. Die Gewerkschaften sind Teil des Staatsapparates und werden verachtet. Inoffizielle Arbeiterorganisationen gefährden das politische Monopol der Partei und werden unterdrückt.
Gesellschaftliche Unzufriedenheit durch offensives Auftreten nach außen zu kanalisieren, ist eine permanente Versuchung für die Pekinger Führung. Militärisch rüstet die bislang als internationaler Player kaum wahrgenommene Volksrepublik auf. Im Streit um unbewohnte Inseln im Süd-und Ostchinesischen Meer prescht Peking vor. In Asien ist die Sorge vor einer zunehmend nationalistischen Färbung der Außenpolitik Chinas groß, wenn die sozialen Spannungen im Wirtschaftswunderland zunehmen.