Iran und USA: Rückzugsgefechte der Hardliner

Das Wiener Abkommen zum iranischen Atomprogramm stellt  eine Neuentwicklung  in der Weltpolitik dar, die nur  im Kontrast zur  langen Kriegsrhetorik rund um die Islamische Republik beurteilt werden kann.

In den USA  waren nach dem Sturz Saddam Husseins die Angriffspläne gegen den Iran das zentrale Thema der außenpolitischen Diskussion. Der Kampf gegen die Achse des Bösen muss weitergehen, lautete die Devise der  Hardliner. Stuxnet, ein Computervirus, mit dem westliche Geheimdienste das iranische Nuklearprogramm infizierten, legte tausende hochmoderne Zentrifugen lahm. Iranische Nuklearexperten fielen Mordanschlägen zum Opfer, hinter denen die ganze Welt den israelischen Geheimdienst vermutete.

Auf ein Zögern der  Bush-Administration in Washington DC reagierte Israel mit der  Warnung, der jüdische Staat werde  auf eigene Faust zuschlagen, um die vermeintliche atomare Bedrohung auszuschalten. Europäer, die auf Außenposten nach Teheran versetzt wurden, übersiedelten in ein potentielles Kriegsgebiet. Auch vorsichtige Experten hielten   Luftschläge der USA gegen die unterirdischen Nuklearablagen im Iran  für unvermeidlich.  Der  Kongress bewilligte hohe Summen, um in Teheran einen Umsturz vorzubereiten.

Der in Wien ausgehandelte Vertrag zum iranischen Atomprogramm zieht einen Schlussstrich unter diese Pläne. Barack Obama vollzieht einen  Kurswechsel, der mit Richard Nixons Reise nach China zu vergleichen ist. Regimechange, der ferngesteuerte Führungswechsel in feindlichen Staaten, verschwindet  aus dem  Arsenal der amerikanischen Außenpolitik. 35 Jahre nach dem Sturz des Schah- Regimes findet sich der Westen mit der iranischen Islamischen Republik  ab.

Rein materiell gibt der Iran viel auf. Das Mullahregime  verzichtet  auf wichtige Teile seines Nuklearprogramms. Fast das gesamte  angereicherte Uran, das militärisch genützt werden könnte, kommt außer Landes. Zwei Drittel der  Zentrifugen, über die die Anreicherung erfolgt,  werden gestoppt.  Die Internationale Atomenergiebehörde errichtet  das strengste Kontrollsystem, das je über einen souveränen Staat verhängt wurde. Die Revolutionsgarden  mobilisieren im iranischen Parlament gegen die Konzessionen, zu denen der reformorientierte Präsident Hassan Rohani bereit war.

Aber der Iran wird weiter ein atomares Schwellenland sein. Das nukleare Know How der  Nukleartechniker bleibt erhalten.  Wenn die Sanktionen fallen und die im Westen eingefrorenen Milliardenwerte zurückfließen,  kann  die Islamische Republik zur regionalen Wirtschaftsmacht aufsteigen.

Im amerikanischen Kongress läuft seitenverkehrt die gleiche Auseinandersetzung wie im Establishment in Teheran. In der übersteigerten Polemik der neokonservativen Rechten ist Obamas Iran-Deal in Wien 2015  so schlimm wie Chamberlains Kapitulation vor Hitler 1938 in München. Dagegen unterstützen Antikriegsgruppen  die Linie des  Präsidenten. MoveOn.org, eine linke Organisation, die gegen den Irakkrieg groß geworden ist, sammelt Unterschriften. J Street, die jüdische Friedensgruppe in Washington, unterstützt das Wiener Abkommen, während der proisraelische Lobbyverband AIPEC ganz auf  Netanyahu-Linie für ein „Nein“ mobilisiert.

Sowohl in den USA als auch im Iran können die Hardliner nur  Rückzugsgefechte führen. Revolutionsführer Chamenei braucht einen Wirtschaftsaufschwung, um sein Regime zu festigen. Dazu müssen die Sanktionen fallen. Die USA wollen ihr  Engagement im Nahen Osten reduzieren. Eine Normalisierung mit dem Iran ist dazu die Voraussetzung. Obama hat gegen einen allfälligen Widerstand des Kongresses bereits sein Veto angekündigt. Die Chancen sind groß, dass das Wiener Iranabkommen auch tatsächlich umgesetzt wird.

Ein Grund, warum der Kampf um das Atomprogramm in der Vergangenheit trotz aller martialischen Planspiele nicht mit militärischen Mitteln  geführt wurde,  liegt im Nein der Europäer. Bereits 2003 unterbreiteten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens  einen Verhandlungsvorschlag. Joschka Fischer, Dominique de Villepin und Jack Straw flogen  nach Teheran. Dick Cheney, der große Scharfmacher in Washington, war entsetzt. Aber die  Bush-Administration bemühte sich gerade die Isolation des Irakkrieges zu überwinden.   Einen neuen Alleingang wollte man nicht riskieren.  Der Iran-Deal belegt das Potential einer europäischen Weltpolitik, wenn die EU-Staaten an einem Strang ziehen.

Die Gegensätze zwischen dem Iran und dem Westen werden nicht verschwinden. Aber sie sind entschärft. Im Irak und in Syrien kämpfen die USA und die Islamische Republik  gegen die sunnitischen Dschihadisten des IS sogar auf der gleichen Seite. Die  Jugendlichen, die in Teheran auf die Straße gingen, um zu feiern, als das iranische Fernsehen das  Ende der Verhandlungen verkündete, erwarten zusätzlich auch eine  Lockerung des Regimes. Garantien  gibt es in der explosiven Welt des Nahen Ostens keine. Aber die Alternative zu dem Kompromiss wäre Krieg gewesen. Jetzt besteht die Chance für Entspannung  an einer der vielen  Fronten der brennenden Region.